Viele von uns haben auf der nördlichen Erdhalbkugel gerade den wärmsten Mai seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt. Es erstaunt daher kaum, dass Klimarisiken bei Investoren mittlerweile zu einem wichtigen Thema avanciert sind. Gerade noch mussten sich Anleger mit dem Effekt der Abkehr von kohlenstoffhaltigen Energieträgern auf den Portfolioertrag befassen. Nun sollten sie über Risiken durch den steigenden Meeresspiegel sowie die Folgen von extremer Hitze und Zyklonen nachdenken.
Aber was ist hier der beste Ansatz? Selbst professionelle Investoren ringen bislang um schlüssige Antworten. Das liegt auch daran, dass die Klimaforschung die Auswahl von Titeln nicht einfach macht. Denn Naturwissenschaftler sind oft keine guten Finanzfachleute, was auch umgekehrt gilt. Gute Analysen zum Thema sind damit rar. Klimarisiken werden zudem oft als Nachhaltigkeitsproblem angesehen, was die Entwicklung geeigneter Anlagestrategien noch verworrener macht.
Klimarisiken bislang nicht adäquat in Wertpapierkurse eingepreist
Vor diesem Hintergrund sollten Anleger in der Praxis das physische Klimarisiko auch wie jedes andere Investitionswagnis in ihr Risikomanagement einbeziehen. Dass sich Wetter auf Vermögenswerte auswirken kann, ist schließlich nichts Neues. Wissenschaftler sind sich nahezu einig, dass menschliches Handeln die Klimarisiken erhöhen wird. Es geht also darum herauszufinden, ob die aktuellen Risiken richtig am Markt bepreist werden.
Unternehmen sind in der Regel noch immer zurückhaltend, wenn es darum geht, die klimarelevanten Risiken für ihr Geschäft offenzulegen. Versuchen Sie einmal in einem Jahresbericht den Standort irgendeines Lagerhauses oder Büros zu finden, oder den prozentualen Anteil der Umsatzerlöse mit Kunden, die in einer Hurrikan-Zone leben. Erschwerend kommt hinzu, dass Klimarisiken Unternehmen oft nicht isoliert betreffen. Bei den Überschwemmungen in Thailand im Jahr 2011 wurden zum Beispiel ganze Lieferketten durcheinandergebracht. Dies belastete die Technologieaktien weltweit.
Unter dem Strich sieht es derzeit also so aus, als würden die Märkte das Klimarisiko als zu niedrig bewerten. Sollte etwa die bei diesem Thema richtungsweisende Internationale Kommission für Stratigraphie bald offiziell entscheiden, dass wir Menschen zu einem der wichtigsten Einflussfaktor für das Erdklima geworden sind, könnte das den Blickwinkel der Investoren nachhaltig verändern und höhere Risikoprämien rechtfertigen. Dann dürften – bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen – die Kapitalkosten steigen und die Kurse von Aktien und Anleihen sinken.
Unternehmensanalysen mit Klimamodellen verknüpfen
Um den Anlegern zu helfen, Klimarisiken in Portfolios abzubilden, ist mittlerweile eine ganze Branche an Beratungsunternehmen entstanden, die Klimamodelle mit Unternehmensanalysen verknüpfen. Dienstleister wie etwa Four Twenty Seven sortieren Unternehmen aufgrund ihres physischen Klimarisikos. Damit ist es möglich, neue Aktien- und Anleiheindizes zu erstellen, welche die Risiken besser widerspiegeln.
In diesem Zusammenhang wird es oft als unethisch kritisiert, Wertpapiere mit höheren Klimarisikokennzahlen schwächer zu gewichten. Denn bestraft würden damit nur die Länder, die am meisten vom Klimawandel gefährdet sind und eigentlich mehr Investitionen bräuchten, um diesen zu bewältigen. Nach den Daten von Four Twenty Seven landen zum Beispiel 80 Prozent der asiatischen Unternehmen in der zweiten unteren Hälfte des MSCI World Index[1] wenn deren Aktien nach dem physischen Klimarisiko beurteilt werden. Bei europäischen Unternehmen wäre das nur etwa zu einem Fünftel der Fall.
Das sollte Anlegern indes nicht den Schlaf rauben. Denn wird eine Aktie, etwa die eines Autobauers in einer Überschwemmungszone, von Investoren gemieden, wirkt sich das theoretisch nicht unmittelbar auf die Finanzierungskosten, die Investitionsfähigkeit und letztlich auf die Börsenbewertung des Unternehmens aus. Der Kapitalsockel des Unternehmens bleibt schließlich stabil. Der Börsenwert wird im Mittel also eher von fundamentalen Daten getrieben. Das dürfte auch gelten, wenn das Unternehmen neue Gelder bei Investoren einsammelt.
Unternehmen sollten ihre Klimarisiken offen benennen
Es bleibt richtig und wichtig, den vom Klimawandel gefährdeten Erdregionen zu helfen. Das physische Klimarisiko ist jedoch aus Investorensicht nur eines von vielen. Auch eine sich verschlechternde politische Lage könnte etwa die Zinsdifferenzen bei Anleihen von Schwellenländern ausweiten – selbst wenn das reale Klimarisiko der Emittenten begrenzt ist. Ist das auch unethisch? Natürlich nicht.
Eher ist es unethisch, dass Anlegern solange die Unternehmensdaten vorenthalten wurden, die sie brauchen, um Klimarisiken adäquat zu bewerten. Letztlich ist mit entsprechender Transparenz beiden Parteien geholfen – Unternehmen und Investoren. Denn weniger Potential für Überraschungen dürfte zu einer geringeren Volatilität[2] bei Wertpapierkursen führen und die Kapitalkosten verringern.
Je genauer das physische Klimarisiko sich kalkulieren lässt, desto effektiver kann ihm entgegengetreten werden – durch passendere Versicherungspolicen, Investitionen in Hochwasserschutz oder durch dürreresistentere Pflanzen. So können alle gewinnen – die Anleger und diejenigen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind.
Die beste Antwort auf Klimarisiken ist also entsprechendes Engagement. Der vom Menschen verursachte Klimawandel erhöht die Dringlichkeit. Investoren sollten Unternehmen dazu zwingen, offenzulegen wie weit ihre Fabriken über dem Meeresspiegel liegen. Welchen Weg nehmen ihre Zulieferketten? Wo leben ihre Kunden? Diese Details müssen bekannt gemacht werden.
Wissenschaftler könnten diese Daten und ihre Klimamodelle dann wechselseitig aufeinander beziehen. Unter dem Strich sollte damit eine sicherere Existenz von uns Menschen auf der Erde herauskommen. Aber eben auch eine bessere risikoadjustierte Rendite für Investoren.