Vor mittlerweile fast dreißig Jahren prägte der Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen den Begriff "Innovationsdilemma".[1] Sein Modell gibt Aufschluss darüber, warum selbst Unternehmen, die auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken können, Schwierigkeiten haben, mit disruptiven Innovationen umzugehen.
Ein aufschlussreiches Beispiel hierfür bieten traditionelle, etablierte Versorgungsunternehmen. Die Stromnachfrage zu steuern oder ihre Dienstleistungen zu digitalisieren gehörte historisch gesehen nicht zu ihren Hauptaufgaben. Doch auf genau diese Fähigkeiten wird es – neben dem Ausbau der Kapazitäten – beim Übergang zu erneuerbaren Energien besonders ankommen. Dies wird sicherlich kein einfaches Unterfangen. Es gibt jedoch eine Reihe plausibler Lösungen, die auch schon lange allgemein bekannt sind.[2]
Das Problem dabei: traditionelle Versorgungsunternehmen haben ihre Geschäftsmodelle über viele Jahrzehnte ganz anders ausgerichtet. Allgemein neigen etablierte Unternehmen dazu, sich auf die Verbesserung von Produkten oder Dienstleistungen in kleinen Schritten zu konzentrieren. Dabei steht die Befriedigung der Bedürfnisse etablierter Kunden mit hohen Gewinnspannen im Vordergrund. Absichtlich oder unabsichtlich behindern sie dabei häufig Innovationen, die ihre traditionellen Geschäftsmodelle stören könnten.[3] Clayton Christensens Innovationsdilemma hilft zu erklären, warum Länder, die versucht haben, ihre Energiewende vergleichsweise früh voranzutreiben, mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatten.
CO2-Emissionen im Transportwesen steigen weiterhin
CO2-Emissionen in USA und EU in Millionen Tonnen
Quelle: Emissionsdatenbank für die globale Atmosphärenforschung, Stand: November 2023Im Gegensatz dazu sind disruptive Technologien[4] für etablierte Anwendungen anfangs meist eher ungeeignet. Newcomer konzentrieren sich in der Regel auf kleine, zunächst recht marginale Nischensegmente, die von den etablierten Unternehmen vernachlässigt werden. Ein hervorragendes Beispiel für eine disruptive Technologie ist das Auto, auch wenn es schon 100 Jahre alt ist. Bis weit in die 1920er Jahre hinein bevorzugten anspruchsvolle Kunden die fast geräuschlosen, leicht zu bedienenden und zuverlässigen Elektroautos. Im Vergleich dazu galten die frühen Autos mit Verbrennungsmotor als unbequem, schmutzig und nicht sehr zuverlässig.[5] Dank der Elektrifizierung von Fließbändern und den damit verbundenen Innovationen in der Erzeugung und an den Autos selbst konnten diese Spritfresser jedoch bald massenhaft und sehr billig produziert werden.[6] Seitdem sind Verbrennungsmotoren die Technologie, auf die die etablierten Autobauer seit Jahrzehnten ihre Prozesse ausgerichtet haben.[7]
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass disruptive Technologien ihre Auswirkungen oft auf unvorhersehbare Weise entfalten. Sie können so manches etablierte Geschäftsmodell ins Wanken bringen, an das man zunächst kaum denken würde. Beispielsweise war bei der Einführung des iPhones zunächst keineswegs klar, dass dadurch ausgerechnet für Taxiunternehmen Konkurrenz entstehen würde.
Das Transportwesen ist der einzige große Sektor weltweit, in dem die CO2-Emissionen weiterhin ansteigen (siehe Grafik). Dies gilt selbst für Regionen wie Europa, die ansonsten auf dem Weg zur Klimaneutralität gut vorankommen.[8] Regierungen und Investoren erachten die Emissionsreduktion in diesem Sektor inzwischen als eine dringende Priorität. Angesichts der Unterschiede zwischen etablierten und disruptiven Technologien sollten sie bei der Prognose potenzieller Gewinner mit Bedacht vorgehen. "Bei all der Ungewissheit, die disruptive Technologien mit sich bringen, können sich Manager immerhin auf eine Gewissheit verlassen: Die Prognosen der Experten werden immer falsch sein."[9]