06. Juni 2023 Letter to Investors

Wenig Wachstum, viel Unsicherheit, angemessene Renditen

Auf Sicht von zwölf Monaten erwarten wir insgesamt solide Erträge bei vielen Anlageklassen trotz dürftigen Wirtschaftswachstums und zäher Inflation.

Björn Jesch

Björn Jesch

Global Chief Investment Officer
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"Die kommenden zwölf Monate sehen für Anleger nicht schlecht aus. In mehreren Anlageklassen rechnen wir mit positiven Realrenditen. Immerhin. Dass wir nach oben und nach unten überrascht werden könnten, liegt an dem sehr ungewöhnlichen Zyklus. "

Björn Jesch, Global Chief Investment Officer

Die Aussichten sind nicht rosig, aber auch nicht düster. Eine leicht uninspirierte Seitwärtsbewegung könnte man es nennen. Ob man dies positiv oder negativ sieht, hängt von den eigenen Erwartungen ab. Positiv könnte man bewerten, dass der Abschwung in Europa und den USA unserer Meinung nach milde ausfallen dürfte. Weniger positiv ist der Ausblick auf den darauf folgenden, ebenfalls milde erwarteten, Aufschwung. Global rechnen wir mit einem Wachstum von 2,8 Prozent für das laufende, und 3,0 Prozent für das kommende Jahr. Für die Eurozone, die USA und Japan wären das 2024 unter einem Prozent.

Positiv könnte man bewerten, dass der Abschwung in Europa und den USA unserer Meinung nach milde ausfallen dürfte.

Ein ähnlich anämisches Konjunkturbild hatten wir bereits von 2015 bis 2020. Wir nannten das damals den „Schildkrötenzyklus“, der aus Anlegersicht nicht unattraktiv war. Schließlich drohte keine Überhitzung und die Niedrigzinsen beglückten fast alle Anlageklassen. Damit ist die heutige Lage nicht mehr vergleichbar. Zwar rechnen wir mit einer Reduzierung der Inflationsraten (in den USA von 4,3 auf 2,5 Prozent in den Jahren 2023 und 2024, in der Eurozone entsprechend von 5,7 auf 2,5 Prozent,[1] doch bleiben sie damit auch 2024 noch über der Zielmarke von zwei Prozent der Zentralbanken und verhindern so, dass die Währungshüter den Märkten, oder auch der Wirtschaft erneut so großzügig unter die Arme greifen wie im vergangenen Jahrzehnt. Ein weiterer Unterschied ist zudem die Unerfahrenheit der Zentralbanken und Marktteilnehmer mit der heutigen Gemengelage: hohe Inflationsraten und hohe Leitzinsen, aber eine sich nur langsam abkühlende Wirtschaft, vor allem aufgrund atypisch starker Arbeitsmärkte.

Da verwundert es nicht, dass die Anleihemärkte sich deutlich nervöser als die Aktienmärkte zeigen[2] Über die Richtung der Anleiherenditen im nächsten Jahr herrscht großer Dissens. Werden in zwölf Monaten die Inflations- oder die Wachstumssorgen dominieren? Oder wurschteln sich die europäische und die amerikanische Wirtschaft ohne größere Blessuren durch die kommenden ein bis zwei Jahre durch? Von den Annahmen hängt auch ab, ob man mit einer steigenden oder abflachenden Zinskurve rechnet. Entsprechend unserem makroökonomischen Ausblick gehen wir von einem Ende der Inversion der Zinskurve aus, da die Zinsen am langen Ende noch steigen dürften. Damit bleibt weiterhin das kurze Ende der Staatsanleihen interessant. Bei Unternehmensanleihen spricht das vor allem für Hochzinsanleihen, die in Europa sechs und in den USA 7,5 Prozent abwerfen könnten. Wir ziehen Europa aufgrund besserer Kreditqualität vor.

Was wiederum auch gleich das Dilemma der Aktien aufzeigt: sie sind schon lange nicht mehr alternativlos. Zwar rechnen wir mit mittleren einstelligen Erträgen auf 12-Monatssicht, die sich aber weitgehend aus Dividenden speisen. Laues Wirtschaftswachstum, relativ hohe Anleiherenditen, immer noch relativ hohe Gewinnmargen und ebenfalls relativ hohe Bewertungen begrenzen unserer Meinung nach das Ertragspotenzial von Aktien. Allerdings haben sie erneut gezeigt, dass sie sich für ein inflationäres Umfeld eignen. Außerdem bieten sie einem die Möglichkeit, an Innovationsschüben teilzuhaben, wie das Beispiel Künstliche Intelligenz gerade wieder zeigt. Wir mögen Europa, wo insbesondere die Nebenwerte immer noch einiges an Aufholpotenzial haben und eine Vielzahl von Marktführern aufweisen, sowie die globale Telekommunikationsbranche.

 Wir gehen davon aus, dass das Ölangebot ausreichen wird, das moderate Nachfragewachstum der nächsten zwölf Monate zu bedienen, und sehen den Ölpreis daher nur auf 85 Dollar für das Fass Brent bis Mitte 2024 steigen. Gold sollte weiter von deneopolitischen Spannungen, dem baldigen Erreichen des zyklischen Zinshochs und den weiteren Käufen durch Zentralbanken profitieren, unser Ziel lautet daher 2200 Dollar die Unze.

Auch wenn dieser Ausblick nur verhalten optimistisch ist, bieten sich Anlegern immerhin verschiedene Anlageinstrumente, die eine positive Renditen bieten und mit denen er sich für verschiedene Szenarien gut positionieren kann.    

 

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