16. März 2023 CIO Flash

Ein weiterer volatiler Tag an den Finanzmärkten

Die Marktturbulenzen könnten letztlich dabei helfen, die Inflation einzudämmen

  • Auf die Beruhigung vom Vortag folgte am Mittwoch ein weiterer Tag mit heftigen Schwankungen an den Märkten
  • Die Erwartungen für weitere Leitzinserhöhungen wurden fast vollkommen ausgepreist, von der Fed werden nun sogar mehrere Zinssenkungen noch dieses Jahr erwartet
  • Im Vergleich zur Zeit vor der Finanzkrise sind die systemischen Risiken zwar deutlich reduziert worden, mit konjunkturellen Bremsspuren ist aber zu rechnen

Die Märkte bleiben angespannt aber funktionieren

Der vierte Handelstag nach Bekanntwerden der Schieflage bei der Silicon Valley Bank (SVB) hat zu einer weiteren Verschärfung der Situation an den Kapitalmärkten geführt. Wer angesichts der Erholung am Dienstag davon ausging, dass die teils rekordhohen Marktbewegungen vom Montag (siehe weiter unten) lediglich auf den Überraschungseffekt, geringe Handelsliquidität und hastige Positionsauflösungen zurückzuführen war, wurde am Mittwoch eines Besseren belehrt.

Allerdings spitzte sich diesmal die Lage besonders in Europa weiter zu, nachdem ein großes europäisches Finanzinstitut in den Fokus der Anleger geriet. Europas Aktien verloren gegenüber Montag weitere 1,5 Prozent (Stoxx 600), die Risikoprämien der Hochzinsanleihen weiteten sich erneut aus[1] und in den USA schloss der Regionalbankenindex[2] niedriger als am Vortag. Wieder einmal waren es aber die Anleihemärkte, welche die größten Bewegungen zeigten. 2-jährige Bundesanleihen rentierten zum Handelsschluss bei 2,39 (Montag: 2,67) Prozent, 2-jährige US Treasuries rutschten erneut unter vier Prozent, während die 10-jährigen erstmals seit Anfang Februar wieder unter die 3,5-Prozent-Marke rutschten. Der Markt erwartet mittlerweile keinen einzigen weiteren Zinsschritt der Federal Reserve (Fed) mehr, sondern drei Zinssenkungen noch im laufenden Jahr. Für sich betrachtet sendet dies das gleiche Signal aus, wie es auch aus dem Rohstoffmarkt abzuleiten ist: Marktteilnehmer erwarten einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit dieses Jahr. Öl der Sorte Brent verlor binnen drei Tagen neun Dollar und notiert jetzt bei 74 Dollar das Fass.

Zu den positiven Aspekten gehörte aber auch gestern wieder der Umstand, dass viele Bereiche des Marktes technisch zu funktionieren schienen, und dass die typischen Absicherungsinstrumente aus Portfoliosicht ihre Funktion erfüllten: Staatsanleihen, Gold, und zumindest im amerikanischen Aktienmarkt drei defensive Sektoren endeten im Plus, ebenso wie der Dollar, der am Montag noch schwächelte.

Europäische Regulierungsbehörden, Zentralbanken und andere Institutionen stehen ebenfalls bereit, um umgehend und proaktiv zu reagieren

Das systemische Risiko sollte nicht das Problem sein

Bei aller kurzfristig extremer Volatilität sollte man das größere Bild nicht aus den Augen verlieren: Die Zentralbanken wollen die Inflation eindämmen und müssen dafür die Wirtschaft abkühlen. Diesem Ziel sollten sie über die vergangenen Tage ein gutes Stück nähergekommen sein. So ging die aus Inflationsindexierten Anleihen abgeleitete Inflationserwartung für die Eurozone über die nächsten 10 Jahre auf 2,27 Prozent zurück, 0,4 Prozentpunkte unter dem Höchststand vom Monatsanfang.

Die Heftigkeit der Marktreaktionen dieser Woche legt jedoch nahe, dass die Anleger sich um systemische Risiken sorgen. Wir bleiben bei unserer Ansicht, dass es zwischen der Finanzkrise 2008 und heute mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. Fangen wir mit der wesentlichen Gemeinsamkeit an:

  • Jeder ausgeprägte Zinserhöhungszyklus der Fed fordert Opfer. Man denke an den Crash von ’87[3], die Tequila Krise[4], das Platzen der DotCom Blase 2000 und der Immobilienblase 2007, bis hin zum Vola Crash von 2018. Dazu kommt, dass der aktuelle Erhöhungszyklus der Fed der schärfste seit Jahrzehnten ist und auf eine immer noch leicht aus dem Gleichgewicht geratene Weltwirtschaft stößt.
  • Bis zu den Ereignissen der letzten Tage verlief der Zinserhöhungszyklus überraschend ruhig und unfallfrei ab. Das klingt zunächst erfreulich, erhöhte aber auch den Druck auf die Zentralbanken in Sachen Inflationsbekämpfung. Die lange von vielen Marktteilnehmern gehegte Hoffnung, dass man der Inflation ohne größere Blessuren in der Realwirtschaft Herr werden könne, dürfte diesen Monat endgültig enttäuscht worden sein. Von einer richtigen Rezession gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt allerdings weder für Europa noch für die Vereinigten Staaten aus.
  • Diese Zuversicht nährt sich letztlich auch aus den Unterschieden zu 2007/08. Die Regulatoren und Zentralbanken haben ihre Lehren aus der Finanzkrise gezogen: Die Banken wurden gezwungen, ihre Eigenkapitalbasis zu stärken, somit die Kapazität zur Absorption von Verlusten zu erhöhen und den Verschuldungsgrad zu verringern. Zusätzlich wurden den Finanzinstituten Liquiditätsparameter auferlegt, die kurzfristige Zahlungsprobleme verhindern sollten. Die SVB entkam manchen dieser Vorschriften aufgrund ihrer Größe. Weitere wichtige Unterschiede sind der Umstand, dass der Interbankenmarkt zur kurzfristigen Refinanzierung der Banken kaum noch eine Rolle spielt, der Derivatehandel großteils über Clearinghäuser abgewickelt wird und vor allem: dass die Banken zumindest im Vergleich zu 2008 deutlich weniger problematische Vermögenswerte auf ihren Büchern halten.
  • Zusätzlich haben Zentralbanken, Regulatoren und andere öffentliche Institutionen im Vergleich zu 2008 ein deutlich breiteres Arsenal an Werkzeugen, um kurzfristig auf Probleme reagieren zu können. Wie die vergangene Nacht gezeigt hat, stehen auch die europäischen Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und andere Institutionen bereit, um zeitnah und proaktiv zu reagieren. So bekommt eine im Fokus stehende Schweizer Großbank eine Liquiditätshilfe in Höhe von 50 Milliarden Franken von der Nationalbank[5].
  • Indikatoren, welche systemischen Stress im Finanzsystem messen, haben zwar angeschlagen, zeigen bisher aber nur moderat erhöhte Werte an. Als Beispiele sei hier auf den Composite Indicator of Systemic Stress (für die Eurozone) und den Office of Financial Research (OFR) Financial Stress Index (für die USA) verwiesen.

Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es in Zeiten mit solch heftigen Marktbewegungen bei einzelnen Marktteilnehmern zu Schieflagen kommen kann.

Wie geht es weiter?

Ob es von Vor- oder Nachteil als Zentralbank ist, inmitten solch volatiler Tage Zinsentscheide fällen zu müssen, wird man wohl erst im Nachhinein beurteilen können. Zumindest könnte die Fed noch von evtl. Fehlern der EZB lernen, da diese bereits heute, und die Fed erst kommenden Mittwoch ihre Entscheidungen bekannt geben wird. Wir rechnen zum jetzigen Zeitpunkt immer noch damit, dass die EZB die Leitzinsen um 50, und die Fed um 25 Basispunkte anheben wird. Ein Aussetzen könnte am Markt auch missverstanden werden und Gerüchte befeuern, dass die Zentralbanker mehr wissen, und dass dieses „mehr Wissen“ nicht beruhigend sei.

Abgesehen davon gilt es natürlich weiterhin, die Inflation in den Griff zu bekommen. Die Entwicklung der US-Kerninflation am Dienstag gab diesbezüglich ja keine Entwarnung (5,5 Prozent gegenüber Vorjahr, genau wie erwartet und nur 0,1 Prozentpunkte niedriger als die Januarzahl). Verbal dürften sich die Zentralbanken aber ziemlich ins Zeug legen, um die Märkte von ihrem Notfallinstrumentarium, und vom Willen, dieses auch zu nutzen, zu überzeugen. Richtig nervös, denken wir, dürften die Zentralbanker erst werden, wenn die Marktverwerfungen zu einer breiteren Kreditklemme führen. So oder so, könnten die vergangenen Tage aber dazu führen, dass die Banken bei ihrer Kreditvergabe fürs erste vorsichtiger werden. Ganz im Sinne der Zentralbanken.

Mehr erfahren

Mehr entdecken

1. Sowohl in den USA als auch in Europa, jeweils im Vergleich zu Montag., Quelle: Bloomberg Finance L.P. vom 15.03.2023

2. KBW Regional Banking Index, Quelle: Bloomberg Finance L.P. vom 15.03.2023

3. Am 19. Oktober 1987, der auch als "Schwarzer Montag" bezeichnet wird, stürzten die Aktienmärkte weltweit ab, als Reaktion auf ein allgemeines Gefühl der Überbewertung der Märkte, nachdem eine Kombination von Nachrichten die Marktteilnehmer zum Verkauf veranlasste

4. 1994 brach der mexikanische Peso fast zusammen, da die Bindung der Währung an den Dollar, die hohe Verschuldung in US-Dollar und die steigenden Zinsen in den USA die Devisenreserven schrumpfen ließen

5. Bloomberg Finance L.P.; Stand 16.3.2023

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