22. März 2024 Aktien

Indien im Aufwind?

Die jüngste Korrektur indischer Small Caps sollten die längerfristige Attraktivität der Aktien des Landes nicht beeinträchtigen.

Das klassische Sanskrit, die alte Sprache des indischen Subkontinents, ist zu Recht für seinen subtilen Spielraum für vielfältige Interpretationen und Doppeldeutigkeiten bekannt. Dies ermöglicht literarische Meisterwerke wie Rāghavapāṇḍavīya, ein episches Gedicht, das gleichzeitig entweder die Suche eines Gottes nach einer entführten Göttin oder kriegerische Abenteuer wie Viehdiebstahl hinter feindlichen Linien erzählt, je nachdem, wie die einzelnen Verse gelesen werden.[1] In letzter Zeit tun sich Anleger ähnlich schwer, die Aussichten für indische Aktien zu entziffern.

Unser „Chart of the Week“ kann dabei helfen. Er zeigt das relative Abschneiden der Nebenwerte im Vergleich zu Standartwerten in verschiedenen Regionen. Chinas Beliebtheit ist seit 2021 geschrumpft, während Indien zu einem Favoriten der Anleger geworden ist. In nahezu einzigartiger Weise stachen indische Nebenwerte dadurch hervor, dass sie sich im Vergleich zu größeren Mitbewerbern in ihrem Heimatmarkt mehr als behaupten konnten, zumindest bis vor Kurzem. Um dies besser zu verstehen, ist ein wenig Hintergrundwissen sowohl über das Land als auch über Nebenwerte im Allgemeinen hilfreich.[2]

Marktbegeisterung und Verzweiflung: indische Nebenwerte im Vergleich zu anderen Regionen

*Small Cap Index/Large Cap Index
Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 15.03.2024

Beginnen wir mit den Aussichten für Indiens Wirtschaft und Märkte insgesamt. Indien verfügt zweifellos weiter über großes Aufholpotenzial, und zwar weitgehend unabhängig von der globalen Wirtschaftslage; das Pro-Kopf-Einkommen beträgt immer noch nur ein Fünftel des chinesischen Einkommens. „Die wachsende Skepsis im Westen, sich bei einigen Produkten ausschließlich auf China zu verlassen, erhöht die Attraktivität Indiens als Ziel für ausländische Direktinvestitionen“, argumentiert Elke Speidel-Walz, Chief Economist Emerging Markets der DWS. Zahlreiche, weltweit führende Technologieanbieter aus Indien sind längst gut integrierter Technologiedienstleister für viele führende multinationale Unternehmen. Sie dürften auch gut aufgestellt sein, um von künstlicher Intelligenz (KI), einem weiteren säkularen Trend, zu profitieren.[3]

Doch gerade in solchen Phasen von Marktoptimismus sollten mittel- bis langfristig orientierte Anleger jede wohlklingende Markterzählung genau hinterfragen, gerade bei Nebenwerten. Wie in anderen Märkten können indische Nebenwerte – und auf sie ausgerichtete Anlageinstrumente – riskant sein, nicht nur aufgrund der geringeren Liquidität der zugrunde liegenden Aktien. Kleine Firmen stehen meist unter geringerer regulatorischer Aufsicht, oder es gibt Bedenken etwa hinsichtlich der Unternehmensführung. Die jüngste Schwäche der Nebenwerte scheint durch die Besorgnis der indischen Wertpapieraufsichtsbehörde über spekulativen Provisionsvereinbarungen zwischen Indiens schnell wachsenden Small- und Mid-Cap-Investmentfonds ausgelöst worden zu sein.[4]

Natürlich lassen solche Entwicklungen durchaus unterschiedliche Sichtweisen zu. Vor einem günstigeren Marktumfeld wären dieselben Regulierungsmaßnahmen möglicherweise als ein weiteres Zeichen dafür gewertet worden, dass sich die Unternehmensführung in Indiens engmaschiger Welt mit überwiegend familiengeführten Unternehmen verbessert.[5] Ebenso ist insbesondere für ein so vielfältiges Land wie Indien ein politischer Wettbewerb unerlässlich, um die notwendigen Kontrollen für funktionierende Demokratien zu gewährleisten. Wir gehen davon aus, dass Narendra Modi bei den von April bis Mai stattfindenden Parlamentswahlen seiner Partei eine weitere Amtszeit in der Regierung sichern wird, sind jedoch der Meinung, dass Indiens längerfristige Attraktivität bei einem breiten Spektrum politisch plausibler Ergebnisse erhalten bleiben dürfte.

Längerfristig gesehen dürfte die jüngste Erhöhung der staatlichen Investitionsausgaben Indien dabei helfen, seine großen demografischen Vorteile besser zu nutzen, insbesondere aufgrund der vergleichsweise jungen Erwerbsbevölkerung und der sinkenden Geburtenraten.

 

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1. Ostler, N. (2005) “Empires of the Word: A Language History of the World”, S. 184-185

2. Weitere Einzelheiten zu Small-Cap-Investitionen im Allgemeinen finden Sie unter link

3. Weitere Einzelheiten zu Indiens Aussichten finden Sie unter India – a poorly kept secret (dws.com)

4. Exclusive: India regulator moves to curb inflows into small- and mid-cap funds - sources | Reuters, Stand: 29. Feb. 2024

5. How an ugly marital feud could change Indian business (economist.com), Stand: 20. Dez. 2023

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