- Der MSCI-Qualitätsindex genoss seit Ende 2023 einen starken Lauf. Er ist entsprechend teuer geworden und birgt zudem aufgrund seiner Technologielastigkeit ein hohes Klumpenrisiko.
- Wir haben uns daher Anfang Juli dazu entschieden, in unserem Multi Asset Musterportfolio vom Qualitätsfaktor auf den Minimum-Volatilitätsfaktor umzusteigen.
- Neben seiner breiteren Sektoraufstellung sollte er sich auch im nervösen Markt, den wir für den weiteren Jahresverlauf erwarten, relativ besser als der Gesamtmarkt schlagen.
Wer an effiziente Kapitalmärkte samt „random walk“-Kursverlauf von Wertpapieren gemäß Lehrbuch glaubt, der könnte hier schon aufhören zu lesen. Wer allerdings die Märkte ein paar Jahre beobachtet hat, weiß, dass es Faktoren jenseits der bewertungstechnisch relevanten gibt, welche die Kurse treiben. Ebenso gibt es saisonale Muster und Investmentstile, die dem Konjunkturverlauf folgen. Bei letzterem könnte man einwenden, dass dies ex-post sehr anschaulich darstellbar ist, die Schwierigkeit für den Investor aber darin besteht, den Konjunkturverlauf richtig einzuschätzen. Man denke etwa an die USA, wo eine Vielzahl von Beobachtern seit Anfang 2023 eine Rezession jeweils „in den kommenden Monaten“ für möglich hielt. Die Konsensschätzungen[1] für das Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 stürzten von 2,1 Prozent Anfang 2022 auf nur noch 0,6 Prozent Mitte 2023 ab, um sich dieses Jahr wieder auf bis zu 2,4 Prozent zu erholen. Und dazu kam eine Inflationsentwicklung, die nicht mit dem Wirtschaftszyklus synchron lief. Aus Anlegersicht alles kein Umfeld, um nach Schema F investieren zu können, weder für Anleihe- noch für Aktienanleger. Für letztere erwiesen sich jedoch trotzdem einige der faktorbasierten Anlagestrategien sogar längerfristig als erfolgreich. So haben von den sieben gängigsten Faktorindizes, wie sie MSCI errechnet, es immerhin zwei geschafft, den breiten Markt über einen Zeitraum von 10, 20, 25, 30 und 40 Jahre zu schlagen: Momentum und Qualität (nähere Beschreibung weiter unten). Wachstum hatte, für jüngere Marktteilnehmer vielleicht erstaunlich, seinen richtigen Siegeszug erst vor 15 Jahren gestartet.
Wenn wir uns nun entschieden haben, den Qualitätsfaktor zugunsten des Minimum-Volatilitäts-Faktors (MinVol) aufzugeben, so hat das vor allem taktische Gründe (im Regelfall haben unsere Faktor-Anlageentscheidungen einen strategischen Zeithorizont). Denn auch wenn Qualität über einen langen Zeitraum fast alles andere geschlagen hat, unterliegt es kurzfristig starken Schwankungen (zuletzt lag der Faktor fast über das gesamte Jahre 2022 stark hinter dem Markt). Ein wichtiger Faktor für unsere Entscheidung war die seit Mitte 2023 andauernde Rally, in der Qualität den breiten Markt um 15 Prozentpunkte (PP), und den gleichgewichteten Markt gar um über 30 Prozentepunkte[2] geschlagen hat – sie wirkte zunehmend überzogen. Dazu kommt, dass der Qualitätsfaktor unter der gleichen hohen Konzentration auf einige wenige Werte leidet, wie schon der S&P 500, was beim MinVol nicht der Fall ist. Ein weiterer Grund für den Schwenk ist aber - um auch darauf zurückzukommen – der Wirtschaftszyklus, den wir zumindest kurzfristig nicht frei von Rückschlaggefahren sehen.
Qualitäts- und Wachstumsindex haben den Markt deutlich geschlagen, MinVol und Substanz hinken hinterher
Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 25.07.2024
*MSCI Welt "Stil" rel. zum MSCI World Index, Gesamtrendite in USD
1 / Unsere Marktsicht aus Multi Asset Perspektive
1.1 Das Kapitalmarktumfeld – ausgewogen
Makro-Umfeld: Wirtschaft wächst, in kleinen Schritten. Inflation schwächt sich ab, in kleinen Schritten
In den USA überraschte das erste Quartal noch positiv, doch mittlerweile macht sich eine Abkühlung in vielen Stimmungs-, aber auch Konsum-; Industrieproduktions- und Arbeitsmarktindikatoren bemerkbar. In Europa ist Deutschland immer noch der wirtschaftliche Nachzügler, bei nur sehr gradueller Verbesserung. Wir sehen in Europa aber immer noch einen insgesamt robusten Arbeitsmarkt. Für Japan wird trotz jüngst schwächerer Daten ein robustes Wirtschaftswachstum erwartet, da der Arbeitsmarkt stark ist, der Devisenmarkt schwach ist und die Touristenzahlen Rekordhöhen erreichen. In China überraschten die Wirtschaftsdaten im 1. Quartal positiv, aber das 2. Quartal war eher enttäuschend. Die mehrdimensionale Vertrauens- und Stimmungskrise könnte noch weiter auf dem Land lasten. In den USA und Europa liegen die Inflationsraten immer noch über den Zielwerten, doch wir erwarten weitere Rückgänge im zweiten Halbjahr, die aber nicht gradlinig verlaufen dürften. Die Zentralbanken haben daher den Spielraum zu Zinssenkungen, aber in unterschiedlichem Tempo. Die EZB hat die Zinsen bereits gesenkt und die Fed dürfte folgen, möglicherweise schon im September. Die BoJ hingegen hat die Ära negativer Leitzinsen beendet und normalisiert ihre Zentralbankpolitik. In China ist die Geldpolitik locker.
Unsere Sicht auf die Märkte….
Unsere Risikopräferenz aus Gesamtportfoliosicht bleibt neutral. BigTech und der S&P 500 haben kürzlich neue Höchststände erreicht, bevor sie Mitte Juli anfingen zu korrigieren. Der Nasdaq 100 liegt seit Jahresbeginn immer noch 13 Prozent vorne, beim MSCI World sind es 11 Prozent. [3] Europa hinkt aufgrund politischer Faktoren und schwächeren Wachstums hinterher. Strukturelle Wachstumsphantasien, wie etwa Künstliche Intelligenz waren die wichtigsten Markttreiber. Ob sie das bleiben, wird auch stark von der laufenden Gewinnsaison abhängen. Bisher ergibt sich eher ein gemischtes Bild, vor allem gemessen an den hohen Markterwartungen für das zweite Halbjahr. Noch scheint das Gewinnwachstum in den USA solider, aber die Bewertungsniveaus sind auch anspruchsvoll. Eine gewisse Schwäche bei Frühindikatoren und harten Daten wie der Industrieproduktion (d. h. USA und Europa) dürften weitere Aufwärtsbewegungen begrenzen. Darüber hinaus spricht die Saisonalität gegen die risikoreicheren Anlageklassen in den liquiditätsärmeren Sommermonaten. Andererseits unterstützen ein beginnender Zinssenkungszyklus und Stimmungs- und Positionierungsdaten institutioneller Investoren an den Aktienmärkten[4] auf neutralem Niveau nach wie vor eine konstruktive Sicht auf die Aktienmärkte. Trotz neutraler Risikohaltung wollen wir aber Schwächen nutzen, um die Risikoexposition zu erhöhen.
…und was das für Aktien und Anleihen heißt
Aktien: Wir bleiben bei unserer neutralen Haltung gegenüber den USA und Japan und der positiven Einschätzung für Europa, insbesondere im Nebenwertesegment. Wir bleiben auch bei unserer positiven Haltung gegenüber zyklischen Konsumgütern und bevorzugen europäische Banken im nun neutral bewerteten Finanzsektor. Innerhalb der Stile behalten wir unsere relative Präferenz für c bei, aber wechseln beim zweiten Stil von Qualität zu Minimum Volatilität (MinVol).
Im Einklang mit dieser Änderung ändern wir auch unsere Präferenzen für zwei Sektoren. Wir stufen den Gesundheitssektor auf Übergewichten hoch und Kommunikationsdienstleister auf Neutral herab. Der Gesundheitssektor könnte von der anhaltenden Sektorrotation hin zu Wachstum und Innovation jenseits der Künstlichen Intelligenz (KI) profitieren. Die aktuelle Sektor-KGV-Prämie von zehn Prozent gegenüber globalen Aktien entspricht der Historie des Sektors. Anders als in früheren US-Wahlzyklen ist die Gesundheitsreform kein zentraler Bestandteil der politischen Agenda der beiden Kandidaten. Darüber hinaus sollten sinkende Zinsen am kurzen Ende US-Biotechfirmen aufgrund günstigerer Finanzierungsbedingungen zugutekommen.
Wir stufen globale Kommunikationsdienste nach einer langen Periode überdurchschnittlicher Wertentwicklung auf Neutral herab. Der Sektor hat aufgrund der Dominanz von Alphabet und Meta (50 Prozent der Marktkapitalisierung des Sektors) als preisgünstige KI-Alternative zum IT-Sektor (Neutral) gedient. Wir glauben jedoch, dass die Anleger nun mehr als nur gute Quartalsergebnisse von den größten Tech- und Medienfirmen verlangen werden, damit der „KI-Zug“ wieder Fahrt aufnimmt. Darüber hinaus müsste nun auch die Anzahl glaubhafter Belege dafür zunehmen, dass die über 150 Milliarden USD, die jährlich für neue Rechenzentren ausgegeben werden, bald die Grundlage für neue Geschäftsmodelle und Einnahmequellen bilden werden.
Anleihen: Wir präferieren weiterhin kurze bis mittlere Laufzeiten bei Staatsanleihen (2 bis 7-Jahres-Segment) und setzen zudem auf eine Versteilerung der Zinskurve, insbesondere im 5- bis 30-jährigen Bereich. Wir bevorzugen weiterhin Euro Unternehmensanleihen mit Investment Grade Status in einem Multi-Asset-Kontext, da die Fundamentaldaten und die Anlegernachfrage stark sind und die Risikoaufschläge (Spreads) im Vergleich zu Euro Staatsanleihen und US- Unternehmensanleihen immer noch relativ attraktiver sind. US-Unternehmensanleihen, auch aus dem Hochzinsbereich meiden wir tendenziell. Wir sind neutral gegenüber Staatsanleihen aus den Schwellenländern.
1.2 Stilwechsel: vom Qualitäts-Faktor zum Minimum-Volatilitäts-Faktor
Mehrere Gründe für den Wechsel
Im Wesentlichen gab es drei wichtige Treiber für unseren Wechsel zum MinVol-Faktor: 1. relative Bewertung und Performance; 2. die Phase im Wirtschafts- und Börsenzyklus sowie 3. aufgrund des Konzentrationsrisikos – die Magnificent 7 lassen grüßen: die zehn größten Einzeltitel des Qualitätsindex stehen für 38 Prozent der Marktkapitalisierung des Gesamtindex. Beim Momentumindex sind es übrigens 37, und beim Wachstumsindex ganze 46 Prozent. Dagegen entfallen beim MinVol nur 15 Prozent des Indexwertes auf die Top Ten.
Wir erwarten, dass sich die Performance- und Bewertungsschere von Qualität und MinVol verringern wird
Die MinVol Strategie hat vor allem im Nachklang zur Finanzkrise 2008 viel Aufmerksamkeit erhalten – verständlich, nachdem etwa der S&P 500 über die Hälfte seines Wertes eingebüßt hatte. Sie genoss dann zu Beginn der Covid-Krise sowie im für alle Märkte enttäuschenden ersten Halbjahr 2022 noch zwei Zwischenhochs, doch eigentlich läuft sie dem Markt seit April 2020 hinterher. Mit dem rapiden Aufstieg der US-Mega-Tech Werte beschleunigte sich die Underperformance in den vergangenen eineinhalb Jahren noch. Gegenüber dem Gesamtmarkt verlor MinVol in dieser Periode rund 15 Prozentpunkte, gegenüber dem Qualitätsindex sogar 26 Prozentpunkte.[3] Entsprechend hat sich der traditionelle Bewertungsaufschlag des MinVol-Faktors gegenüber dem breiten Markt in einen Bewertungsabschlag gedreht (Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 gegenüber 22 für den MSCI World). Der Qualitätsindex ist mit einem KGV von 28 sogar 40 Prozent teurer als MinVol. Hier gehen wir von einer graduellen Normalisierung (mean reversion) aus, insbesondere nachdem die angelaufene Berichtssaison ein eher gemischtes Bild hinterlässt und neben anderen Faktoren dafür gesorgt hat, dass die Marktvolatilität binnen zwei Wochen um 30 Prozent[5]zugelegt hat. Zudem wollen wir betonen, dass sich der MinVol Index beim Thema Gewinnwachstum in den vergangenen Jahren keineswegs hinter dem Qualitätsfaktor verstecken musste.
Das Gewinnwachstum je Aktie des MinVol-Faktors kann mit "Qualität" mithalten. Der Bewertungsunterschied hat sich über die vergangenen zwei Jahre vergrößert.
Source: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 25.07.2024
*MSCI Welt "Stil" net total return USD index
Source: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 25.07.2024
*MSCI Welt "Stil" Netto-Gesamtrendite-Dollar-Index
Der MinVol-Stil dürfte potenzielle Makro- und Gewinnenttäuschungen besser abfedern als der Qualitäts-Stil
Beim zweiten Punkt ist es wichtig zu betonen, dass die MinVol Strategie nur ein Bestandteil unseres Modell-Portfolios ist, und damit auch Szenarien abfangen soll, die aus makroökonomischer Sicht nicht unserem Kern-, aber unseren Risikoszenarien entsprechen. Dazu gehört das Abgleiten der USA in eine größere Schwächephase bis hin zur Rezession. Zusammen mit der anhaltenden Nachfrageschwäche aus China würde dies dann auch den europäischen Unternehmen weiter zusetzen. Doch selbst bei einer sogenannten sanften Landung der US-Wirtschaft könnten auch andere Faktoren dazu beitragen, den hoch bewerteten Aktienmarkt zu verunsichern. Nicht zuletzt können selbst sinkende Leitzinsen (denen ja eine wirtschaftliche Abschwächung vorausgehen sollte) die Anleger nervös machen, wenn etwa einzelne Inflationszahlen daraufhin wieder höher ausfallen. In all diesen Szenarien sollte sich die MinVol Strategie unserer Meinung nach bewähren.
Der MinVol-Index weist nicht das hohe Konzentrationsrisiko des Qualitäts-Index auf
Als dritten Grund wollen wir die vielzitierte hohe Konzentration der Marktkapitalisierung, aber auch der Wertentwicklung der vergangenen Quartale auf einige wenige Werte verweisen. Nachdem die zehn größten Werte, zumeist aus dem Tech-bereich, für fast den gesamten Wertzuwachs im S&P 500 dieses Jahr (und aufgrund der Dominanz des US-Marktes damit auch im globalen MSCI World) verantwortlich waren, und nunmehr über ein Drittel der Marktkapitalisierung des S&P 500 auf sich vereinen[3], setzen sich Anleger des Qualitäts-, Momentums- oder Wachstumsfaktors hohen Einzeltitelrisiken aus. Der MinVol Faktor hingegen profitiert nicht nur von einer breiteren Einzeltitelaufstellung, sondern auch von einer höheren Diversifikation gegenüber anderen Stilen, einer Zinsreagibilität auf sinkende Zinsen und dem bereits erwähnten niedrigeren Risikoprofil gegenüber anderen Faktoren.
MinVol Index zeigt geringere Sektorenkonzentration als der Quality Index
Source: MSCI Inc., DWS Investment GmbH; Stand: 25.07.2024Die laufende Berichtssaison testet die Nerven der Anleger
In der laufenden Quartalsberichterstattung hat sich insbesondere in der dritten Juliwoche angedeutet, was wir bereits befürchtet haben: dass selbst bei positiven Quartalszahlen die Aktien abgestraft werden könnten, wenn die Anleger aufgrund vorsichtiger Firmenausblicke befürchten müssen, dass ihre ambitionierten Gewinnprognosen für das zweite Halbjahr nicht aufgehen könnten. Der US-Technologiesektor (und damit auch der Qualitätsfaktor) hat daraufhin stark korrigiert, während sich der MinVol Faktor wie erhofft demgegenüber besser behaupten konnte. Im negativen Szenario könnten die Ganzjahresprognosen für den S&P 500 als Folge der 2Q24-Berichtssaison runterrevidiert werden, was insbesondere die Tech-Werte treffen würde, da sie fast für das gesamte prognostizierte Gewinnwachstum 2024 stehen.
2 / Investmentzyklen und Faktoren
2.1 Der Konjunkturzyklus als Taktgeber des Investmentstils
Den Anlage- auf den Wirtschaftszyklus abstimmen – logisch…
Zum Thema Investieren im Einklang mit Wirtschaftszyklus gibt es viele Bücher. Der „All-Season Investor“ von Martin J. Pring aus dem Jahr 1992 sei erwähnt, oder, etwas aktueller, „Mastering the Market Cycle“ vom Gründer des Hedge-Fonds Oaktree, Howard Marks. Grob gesagt wird der Wirtschaftszyklus in vier Phasen unterteilt – dem Auf- und Abschwung, sowie dem Hoch- und Tiefpunkt. Für jede Phase gibt es idealtypische Anlageklassen oder Sektoren. Im Abschwung (bzw. bei den ersten Anzeichen eines aufkommenden Abschwungs) etwa sollte man auf defensive Sektoren (Versorger, Telekom, Pharma) setzen, deren Umsatz weniger stark mit dem Zyklus korreliert. Auch Staatsanleihen empfehlen sich, aufgrund des garantierten Kupons und Rücknahmepreises, sowie die Aussicht auf Kursgewinne, sollten die Zentralbanken im Zuge des Abschwungs die Zinsen senken. Andererseits werden Unternehmensanleihen, zyklische Sektoren oder Nebenwerte empfohlen, wenn sich abzeichnet, dass der Tiefpunkt überschritten sein könnte.
…einige Probleme gäbe es da jedoch
Dass die Wirtschaftsentwicklung auf längerfristige Sicht die Basis für die Wertentwicklung der Aktien (auf die wir uns hier konzentrieren wollen) bildet, ist unbestritten. Und es entspricht der menschlichen Natur, die Zukunftsaussichten im wirtschaftlichen Tal anders zu beurteilen, als wenn gerade alles rund läuft. Wir wollen den Sinn des zyklusabgestimmten Anlegens auch nicht abstreiten. Aber anhand einiger Punkte erklären, warum sie nur ein Einflussfaktor von vielen ist. Oder anders gesagt: ein „objektiver“ quantitativer Signalgeber, den wir mit vielerlei „subjektiver“ qualitativer Faktoren abgleichen.
- Historisch betrachtet gab es, insbesondere vor der Finanzkrise, viele Phasen, in denen sich Anlageklassen, Stile und Sektoren entlang des Wirtschaftszyklus entwickelt haben. Dieser Zusammenhang hat sich in der jüngsten Vergangenheit aufgrund zahlreicher fiskalischer und monetärer Programme der politischen Akteure abgeschwächt. Doch das Problem ist die regelmäßige Gleichzeitigkeit von Wertentwicklung der Anlagen und den veröffentlichten volkswirtschaftlichen Zahlen, die anzeigen, wo man im Zyklus steht. Oder vielleicht auch nur „stehen könnte“, falls sich die Makro-Kennzahl später als Ausreißer herausstellt. Kurzum: in welche Richtung sich der Zyklus entwickelt, oder selbst, wo er gerade steht, ist alles andere als eine ausgemachte Sache. Wir erwähnten auf der ersten Seite die sich ständig ändernden Erwartungen zum US-Wachstum allein in den vergangenen zwei Jahren. Ein anderes Beispiel ist die häufig gestellte Frage, ob man sich in einem ausgemachten Abschwung befindet, oder nur in einem „mid-cycle slowdown“.
- Der Wirtschaftszyklus ist auch nicht mehr das, was er mal war: mit Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft und der wachsenden Bedeutung von Software im Wirtschaftszyklus werden klassische Zyklustreiber wie Investitionen und Lagerhaltung immer unwichtiger.
- Ereignisse wie Covid oder Kriege bringen jeden Zyklus durcheinander.
- Und zuletzt die Marktperspektive: selbst wenn der Zyklus einigermaßen prognostizierbar wäre, würde natürlich jeder Anleger versuchen, sich früher als andere Anleger zu positionieren. Und wenn man konsequent genug antizipiert, was der andere antizipieren könnte, was man selbst antizipiert, dann fängt man irgendwann an, zyklische Sektoren zum Beginn eines Abschwungs zu kaufen. Das ist dann vielleicht doch etwas zu progressiv.
Noch einmal: das ist kein Grund, die Zyklusmodelle – die man natürlich immer weiter optimieren kann - nicht als Entscheidungsfaktor und zur Überprüfung der eigenen Anlageallokation zu nutzen. Als einen von vielen Bausteinen.
2.2 Die Faktoren aus Sicht der Indexanbieter
Stilfaktoren sind keine vollständige Aufteilung des Marktes
Je nach Gusto kann man zwischen 6 oder 7 gängigen Faktoren unterscheiden. Wir werden uns hier weitgehend der Logik des großen Indexanbieters MSCI bedienen, der hierzu viel Informationsmaterial und historische Daten bereithält. Das wichtigste gleich vorab: die Faktoren schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, manche haben sehr große Überlappungen, wie anhand der Einzelwerte erkennbar ist. Gleichzeitig decken die Faktoren auch nicht die Gesamtheit des Anlagespektrums ab, auf das sie sich beziehen (sei es nur der US-Markt, oder wie in unserem Fall der MSCI World). Vielleicht ist es diese Unbestimmtheit, die dazu beiträgt, dass die zwei meistzitierten Faktoren Substanz und Wachstum (Value & Growth) sind. Denn sie gelten als weitgehend komplementär, und damit gegenteilige Geschichten in Bezug auf Anlegerpräferenzen erzählend. Über die vergangenen zehn Jahre waren beide Faktoren mit 0,76 negativ korreliert.
MSCI sieht in seinen Faktorindizes Dauerrenner
In den regelbasierten sieben MSCI Faktorindizes Substanzwerte, Nebenwerte, geringe Volatilität, hohe Dividendenrendite, Qualität, Momentum und Wachstum, die nach Meinung von MSCI allesamt über längere Perioden den breiten Markt schlagen konnten, stecken mittlerweile USD 236 Milliarden Anlegergelder.
Hier nun die MSCI-Beschreibungen[6] der beiden Faktoren, um die es in dieser Studie geht. Dies soll jedoch lediglich als zusätzliche Information dienen, da unsere Entscheidung auch stark auf anderen Überlegungen basierte, wie oben dargelegt.
Der Faktorindex Minimale Volatilität wählt Aktien auf Grundlage der Schätzung ihrer Volatilität und Korrelationen mit anderen Aktien aus. Minimale Volatilität wird als „defensiver“ Faktor eingestuft, was bedeutet, dass sie in Zeiten wirtschaftlicher Rezession tendenziell von Vorteil sein sollte. Paradoxerweise hat die Strategie über lange Zeiträume den breiten Markt geschlagen, was dem Grundsatz widerspricht, dass Anleger nicht mit höheren risikobereinigten Renditen belohnt werden sollten, wenn sie weniger als das Marktrisiko eingehen. Dafür könnte es vor allem zwei verhaltensbasierte Erklärungsmuster geben: 1. Anleger zahlen für Aktien mit geringer Volatilität zu wenig, da sie diese als weniger lohnend ansehen, und zu viel für Aktien mit hoher Volatilität, von denen sie sich zu hohe Renditechancen versprechen. 2. Anleger vertrauen zu stark auf ihre Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen. Gerade bei Aktien mit hoher Volatilität weicht ihre Meinung dann auch am stärksten von der Marktmeinung ab.
Der MSCI-Qualitätsindex verwendet drei grundlegende Variablen, um den Qualitätsfaktor zu erfassen: 1. Eigenkapitalrendite; 2. Verschuldungsgrad und 3. Konstanz der Gewinne.