- Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind schwieriger geworden – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.
- Statt Handels- und Zollfragen steht jetzt ein wesentlich breiterer Konflikt im Mittelpunkt, bei dem es letzten Endes um den technologischen Führungsan-spruch und die Verringerung gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit geht.
- Auch geopolitische Fragen spielen eine Rolle, da technologische Dominanz militärische Dominanz bedeutet.
1/ Der Konflikt spitzt sich zu
China steht vor neuen globalen Herausforderungen. Anfängliche Hoffnungen auf eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen nach dem Amtsantritt der neuen US-Regierung haben sich zerschlagen, und immer mehr Konfliktfelder scheinen sich aufzutun. Aus den bilateralen Handelsstreitigkeiten ist ein wesentlich gravierender Konflikt um den künftigen technologischen und geopolitischen Führungsanspruch geworden. Die Vereinigten Staaten sehen China jetzt als strategischen Konkurrenten.[1] Nicht nur die bilateralen Beziehungen zu den USA haben sich verschlechtert, China gerät auch weltweit wegen Menschenrechtsverletzungen, regionaler Militäraktionen und anderer Verhaltensweisen zunehmend unter Druck. Ausgelöst wurde die Haltungsänderung westlicher Staaten vor allem durch das Mitte 2020 in Kraft getretene Sicherheitsgesetz für Hongkong (Gesetz der Volksrepublik China zur Wahrung der nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong) und den menschenrechtsverletzenden Umgang mit der uigurischen muslimischen Minderheit. Auf dem G7-Treffen im Juni forderten die USA die großen demokratischen Staaten auf, gemeinsam gegen mächtiger werdende Autokratien vorzugehen, und die Build Back Better World (B3W)[2] Initiative war die Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraßen-Initiative“ (Belt and Road Initiative), bei der große Infrastrukturprojekte Chinas Einfluss auf die Entwicklungsländer verstärken sollen.
Europa tut sich schwerer damit, einen systematischen Konfrontationskurs zu fahren, da es in China einen notwendigen Wirtschaftspartner und nicht eine strategische Bedrohung sieht. Aber Europa hat sich den aufgrund chinesischer Menschenrechtsverletzungen von den USA verhängten Sanktionen vorbehaltlos angeschlossen. Das geplante Comprehensive Agreement on Investment (CAI) zwischen der Europäischen Union und China, das nach achtjährigen Verhandlungen eigentlich bis zum Ende dieses Jahres von der erforderlichen Anzahl EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden sollte, wurde vorerst auf Eis gelegt. Dies war eine Reaktion auf chinesische Sanktionen gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, nachdem die EU Sanktionen aufgrund von Chinas Menschenrechtsverletzungen beschlossen hatte. Deutschland und Frankreich sind nichtsdestotrotz an der Weiterführung eines Dialogs mit China und einer Verabschiedung des Investitionsabkommens interessiert. Ein mögliches weiteres Hindernis für China ist das jüngst verabschiedete deutsche Lieferkettengesetz (ähnliche Gesetze könnten auf EU-Ebene folgen), das unter anderem deutsche oder europäische Unternehmen für jede Zusammenarbeit mit chinesischen Geschäftspartnern, die Zwangsarbeiter einsetzen oder andere Arbeitsschutzgesetze missachten, zur Verantwortung zieht.
2/ Es begann mit einem Handelskrieg…
Die beiden Länder einigten sich darauf, dass China bis Ende 2021 insgesamt 200 Milliarden US-Dollar mehr als 2017 für bestimmte US-Güter und Dienstleistungen ausgeben würde.
Betrachtet man nur das bilaterale Handelsbilanzdefizit mit China, gibt es nur Verlierer
Unter Präsident Trump hatte sich die US-Regierung auf einen drei Jahre langen Handelskonflikt eingelassen, der sich auf das große und weiter ansteigende bilaterale Handelsdefizit der USA mit China konzentrierte. Während dieser Zeit stieg die durchschnittliche bilaterale Zollrate für beide Seiten kräftig an – von einstelligen Zöllen auf über 20 Prozent. Auf diesem hohen Niveau wurden die Zölle eingefroren, als am 14. Februar 2020 ein Waffenstillstand, das so genannte Phase-One-Abkommen, geschlossen wurde. Die beiden Länder einigten sich darauf, dass China bis Ende 2021 insgesamt 200 Milliarden US-Dollar mehr als 2017 für bestimmte US-Güter und Dienstleistungen ausgeben würde. Aber weder im letzten Jahr noch im bisherigen Jahresverlauf hat sich China an diese Abmachung gehalten. Bis Mai 2021 beliefen sich die Käufe aller in dieser Vereinbarung erfassten Produkte auf lediglich 62 Prozent des bis dahin angestrebten Ziels.[3]
Das bilaterale Handelsdefizit der USA mit China fiel 2019 und Anfang 2020, ist aber während der Pandemie wieder gestiegen, als die durch Covid-19 ausgelöste Nachfrage nach medizinischer Ausrüstung und elektronischen Produkten für die Arbeit im Homeoffice in die Höhe schnellte. 2020 haben sich die chinesischen Exporte medizinischer Produkte beinahe verdreifacht – Waren im Wert von 105 Milliarden Dollar wurden ausgeführt.[4]
China: Anteil an den globalen Exporten steigt weiter
Interessanterweise weist der Leistungsbilanzüberschuss Chinas insgesamt (mit allen Ländern) seit seinem Hoch 2008 mit über 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen deutlichen Abwärtstrend auf und liegt jetzt bei etwa 2 Prozent des BIP. Der Grund für diese Entwicklung ist, dass Chinas Importe aus asiatischen Entwicklungsländern in den letzten Jahren besonders stark zugenommen haben.
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3/ … jetzt rücken Technologie und Menschenrechte in den Vordergrund
Nichttarifäre Handelshemmnisse und Beschränkungen gegen China
Während die gegen China verhängten Strafzölle die chinesische Wirtschaft nicht maßgeblich beeinträchtigen konnten,[5] zeigte die Verlagerung auf nichttarifäre Maßnahmen, besonders die US-Exportbeschränkungen größere Wirkung – chinesische (Tele-)Kommunikationsunternehmen konnten die für sie unbedingt erforderlichen Siliziumchips nicht mehr importieren.
Im August 2018 hatte der damalige US-Präsident Trump aufgrund von Sicherheitsbedenken den Einsatz der Produkte von zwei großen chinesischen Telekommunikationsunternehmen bei Projekten der US-Regierung verboten. Im Mai 2019 erweiterte das US-Handelsministerium die Liste von Unternehmen, an die US-Firmen nur mit Zustimmung der US-Regierung liefern dürfen, um einen weiteren chinesischen Telekommunikationsgiganten und 70 seiner ausländischen Partner- und Tochterfirmen. Durch den fehlenden Zugang zu US-Technologie ist die eigene Entwicklung und Herstellung von komplexen und hoch entwickelten Chips in China kaum möglich.
Menschenrechtsverletzungen dürften stärkere wirtschaftliche Auswirkungen haben
Chinas Verhältnis zum Rest der Welt hat sich nicht nur bei Sicherheitsfragen, Verstößen gegen die Rechte an geistigem Eigentum und ungleichem Marktzugang verschlechtert. Im letzten Jahr hat sich die Frage von Menschenrechtsverletzungen immer stärker in den Vordergrund gedrängt.
Ausgelöst wurde dies unter anderem durch die Einführung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong im Juni 2020. Im August 2020 leitete die US-Regierung unter dem Hong Kong Autonomy Act Sanktionen ein. Das US-Finanzministerium verhängte auf der Grundlage einer Verfügung wegen der Untergrabung der Unabhängigkeit Hongkongs Sanktionen gegen die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam und zehn weitere Regierungsvertreter. Am 7. Dezember 2020 wurden diese Sanktionen auf alle 14 stellvertretenden Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses Chinas wegen der Untergrabung der Unabhängigkeit Hongkongs und der Beschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausgedehnt.
Diese Sanktionen richteten sich gegen direkt involvierte Politikerinnen und Politiker; sie dürfen weder in die USA noch nach Europa reisen, das ähnliche Sanktionen verhängte.
Erst kürzlich wurden neue US-Sanktionen mit direkten wirtschaftlichen Auswirkungen gegen China verhängt. US-Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit in der autonomen Region Xinjiang, die überwiegend von Uiguren besiedelt ist, wurden vor kurzem verschärft. Im Juni verbot die US-Regierung in einem ersten Schritt den Import von Bauteilen von Sonnenkollektoren aus Xinjiang, und am 14. Juli billigte der US-Senat eine Gesetzesvorlage zur Ausweitung des Importverbots auf alle Güter aus dieser Region. Mit dieser von beiden Parteien einstimmig im Senat verabschiedeten Maßnahme wird die Beweislast auf den Importeur verlagert – unter der aktuellen Regelung dürfen Waren nur bei ausreichenden Belegen für Zwangsarbeit nicht importiert werden. Die Gesetzesvorlage muss jetzt das Repräsentantenhaus passieren, bevor sie im Weißen Haus von Präsident Joe Biden unterzeichnet und somit in Kraft gesetzt wird.
China reagierte auf diese unterschiedlichen neuen Restriktionen und Sanktionen mit dem Anti-Foreign Sanctions Law, das die gesetzliche Grundlage für Gegensanktionen gegen ausländische Einzelpersonen oder Organisationen schafft, die Sanktionen gegen China verhängen können. In welchem Umfang dieses neue Gesetz zum Tragen kommt, ist bislang offen.
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4/ Chinas Außenpolitik wird komplizierter
Auch die Spannungen im Südchinesischen Meer mit einigen der asiatisch-pazifischen Nachbarn Chinas haben sich verschärft. Mit Taiwan und mit Australien befindet sich China nun ebenso in einem Handels- und Zollkonflikt.
Warum ist Taiwan für die Weltwirtschaft und die globalen Finanzmärkte wichtig? Taiwan liegt strategisch nahe an der chinesischen Küste und spielt eine entscheidende Rolle in den asiatischen Technologielieferketten sowie mit Blick auf die technologische Integration der Vereinigten Staaten, Europas und Asiens. Jeder Konflikt zwischen China und Taiwan könnte die globalen Technologielieferketten schmerzlich beeinträchtigen. Taiwans größte Halbleiterfirma kontrolliert 84 Prozent des Marktes für die Fremdfertigung der modernsten Halbleitergeneration, die für die Produkte und Dienstleistungen der größten Technologiefirmen der Welt benötigt werden. Die Nachfrage nach diesen Hochleistungschips steigt aufgrund der Ausweitung schneller Kommunikationsnetzwerke und Cloud-Computing stetig.[6]
5/ Es geht um die technologische Führung
Globale Führerschaft bei den großen technologischen Trends der Zukunft ist ihr Ziel: Künstliche Intelligenz, 5G, autonomes Fahren, Elektroautos, eine grüne Wirtschaft, Roboter und das Internet der Dinge.
Beide Länder verfolgen ähnliche Strategien
Ein näherer Blick auf die mittelfristigen strategischen Pläne beider Länder zeigt auffallende Ähnlichkeiten. Beide Länder stehen am Anfang eines immensen Innovations- und Technologieschubs. Kurz gesagt: Beide Länder streben die technologische Spitzenposition an und wollen als Erstanbieter bei neuen Technologien künftige Standards setzen, bei entscheidenden Vorprodukten Eigenständigkeit erreichen und die Hoheit im Cyberspace erringen.
Daher treiben die USA und China ihre Spitzentechnologien und Innovationen stärker voran als je zuvor, die USA über ihren Innovation and Competition Act (USICA) und China über seinen vierzehnten Fünfjahresplan für 2021 bis 2025. Globale Führerschaft bei den großen technologischen Trends der Zukunft ist ihr Ziel: Künstliche Intelligenz, 5G, autonomes Fahren, Elektroautos, eine grüne Wirtschaft, Roboter und das Internet der Dinge. Deshalb stehen die Produktion von Hochleistungs-chips der neuen Generation und die Sicherstellung der Unabhängigkeit im Mittelpunkt.
Bislang funktionieren die globalen Technologielieferketten nach den Prinzipien des Wettbewerbsvorteils. China produzierte ursprünglich nur einfache, heute aber auch immer komplexer werdende Chips und andere technologische Produkte mit einem großen Preisvorteil gegenüber den USA und der restlichen Welt. Dadurch wurden die globalen Preise niedrig gehalten. Aber China ist bei den technologischen Spitzenprodukten, beispielsweise Chips für Quantencomputer, von US-Vorprodukten abhängig. Und wie die durch die Pandemie verursachten Lieferkettenengpässe und der nunmehr schon drei Jahre dauernde Handels- und Technologiekonflikt zwischen den USA und China zeigen, ist der Preis dafür hoch: gegenseitige Abhängigkeit. Da die Vereinigten Staaten China jetzt als langfristigen strategischen Rivalen betrachten, ist China umso mehr bestrebt, seine eigene technologische Stärke zu entwickeln.
US-Technologieimporte aus China im Jahr 2018
Produktgruppe |
Anteil Chinas an den gesamten US-Importen der jeweiligen Produktgruppe |
Halbleiter und -komponenten |
11% |
Sonstige elektronische Komponenten |
46% |
Schaltungsplatten |
47% |
Elektronische Steckverbindungen |
24% |
Alle Technologieimporte aus China |
21% |
Quellen: USA Trade Online, By NAICS code, DWS Investment GmbH; Stand: Juni 2021. |
Technologische Entwicklung spielt eine entscheidende Rolle für den künftigen wirtschaftlichen Wachstumspfad Chinas, weil das Wachstumspotenzial, welches ein weiter steigendes Pro-Kopf-Einkommen ermöglichen soll, nur über höhere Produktivität zu erreichen ist.
Alternde Bevölkerung und schwierigere Geopolitik im Mittelpunkt von Chinas Fünfjahresplan 2021-2025
Mit seinem jüngsten Fünfjahresplan (2021 bis 2025) reagiert China auf die neuen Herausforderungen. Er markiert den Beginn des Übergangs von einem Land mit hohem mittleren Einkommen[7] zu einem „mittleren entwickelten Land“ – die sozialistische Modernisierungsagenda 2035. Wichtigste Ziele sind die Förderung des privaten Konsums und wirtschaftlich nachhaltige Investitionen in bestimmte Bereiche wie Innovation, grüne Entwicklung (mit Klimaneutralität bis 2060) und eine partielle Öffnung der Kapitalmärkte.
Technologische Entwicklung spielt eine entscheidende Rolle für den künftigen wirtschaftlichen Wachstumspfad Chinas, weil das Wachstumspotenzial, welches ein weiter steigendes Pro-Kopf-Einkommen ermöglichen soll, nur über höhere Produktivität zu erreichen ist. Der frühere Wachstumsfaktor, eine stark steigende Bevölkerung (Arbeitspotential), hat sich mit negativem demographischem Trend ins Gegenteil verkehrt. Auch angesichts der zunehmend belasteten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und anderen Ländern sind technologische Unabhängigkeit und Lieferkettensicherheit wichtige Ziele. Innovation ist einer der Eckpfeiler des neuen Fünfjahresplans, wobei technische Eigenständigkeit und Digitalisierung ganz oben auf der Agenda stehen. China plant eine Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) um über 7 Prozent pro Jahr,[8] eine Verbesserung des Schutzes geistigen Eigentums, mehr Marktanreize für Forscher und Wissenschaftler und eine Förderung von Unternehmensausgaben für Forschung und Entwicklung durch Steuersubventionen. Mehr Investitionen sollen auch in die Grundlagenforschung, in modernste Fertigungsverfahren und Infrastruktur, in 5G, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge sowie die Fortentwicklung von Big Data (Nutzen von großen Datenpaketen in Medizin und vielen anderen Anwendungsfeldern)
U.S. Innovation and Competition Act (USICA; US-Gesetz zu Innovation und Wettbewerb)
Am 9. Juni 2021 billigte der US-Senat das USICA, eine 250-Milliarden-Dollar-Gesetzesvorlage als Antwort auf Chinas technologische und geopolitische Ambitionen. Dieses Gesetz sieht 52 Milliarden Dollar für die Halbleiterforschung, sowie für Design- und Fertigungsinitiativen vor mit dem Ziel, die Chipproduktion wieder in die USA zurückzubringen und Schwachstellen in den Lieferketten zu beheben. Zusätzlich unterstützt wird auch die Entwicklung von Fahrzeugbatterien mit Energie aus erneuerbaren Quellen, Robotik, 5G, Quantencomputing[9] und Künstliche Intelligenz. Erfasst werden kritische Produkte von Schaltkreisen über Medikamente bis hin zu Chips.
Die Wiederansiedlung der Chipherstellung in den Vereinigten Staaten nimmt eine zentrale Stellung bei dieser Initiative ein, nachdem der weltweite Anteil der in den USA produzierten Halbleiter und Mikroelektronikprodukte in den letzten Jahrzehnten von 37 Prozent im Jahr 1990 auf aktuell nur 12 Prozent gefallen ist.[10] Ausländische Konkurrenten wie Südkorea, Taiwan und jetzt China investieren massiv, um diesen Sektor zu dominieren. USICA sieht auch die Unterstützung für Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Privatwirtschaft vor.
Um sich für den strategischen Wettbewerb zu wappnen, steht auch der Umgang mit Chinas mutmaßlichem Diebstahl geistigen Eigentums und mit den massiven staatlichen Subventionen für chinesische Unternehmen auf der Agenda. Zudem verstärkt sich der Druck, bestehende Sanktionen gegen vermeintliches chinesisches Fehlverhalten verstärkt anzuwenden – Menschenrechtsverletzungen, Cyberspionage, unerlaubter Handel mit Nordkorea, Herstellung und Vertrieb von Fentanyl und Anderes – und weitere umfassende, verbindliche Sanktionen vorzusehen.
Die Wiederansiedlung der Chipherstellung in den Vereinigten Staaten nimmt eine zentrale Stellung bei dieser Initiative ein, nachdem der weltweite Anteil der in den USA produzierten Halbleiter und Mikroelektronikprodukte in den letzten Jahrzehnten von 37 Prozent im Jahr 1990 auf aktuell nur 12 Prozent gefallen ist.
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6/ Eine Entkopplung belastet zunächst beide Seiten
Direkte und indirekte Kosten einer Entkopplung
Die jüngste Geschichte und besonders Lieferengpässe bei sensiblen Produkten (wie medizinischer Ausrüstung) während der Pandemie haben das Hauptaugenmerk auf die wesentlichen Risiken und Nachteile einer globalisierten Welt mit stark verflochtenen Volkswirtschaften, Finanzmärkten und Technologielieferketten gelenkt. Während Abhängigkeiten ohne Zweifel ernste Schwachstellen schaffen können, fordert auch der gegenläufige Trend – eine Entkopplung der Volkswirtschaften und Finanzmärkte – ihren Preis. Einbußen bei Unternehmensgewinnen, niedrigeres BIP-Wachstumspotenzial und höherer Preisdruck durch eine Rückverlagerung von Produktionsstätten (das letzte, was die Welt in der aktuellen Pandemie braucht) sind da nur die offensichtlichsten direkten Folgen.
Die makroökonomischen Auswirkungen könnten per Saldo weniger ausgeprägt sein, da sowohl China als auch die USA einen großen Binnenmarkt haben und sich Nettoexporte in beiden Ländern relativ gering auf das BIP-Wachstum auswirken. Einzelne Unternehmen könnten allerdings unter einer Entkopplung umso stärker leiden. Die Umsätze aus China stellen nur einen Bruchteil des gesamten Auslandsumsatzes von US-Unternehmen dar (siehe Chart), aber in einigen Branchen ist dieser Anteil wesentlich höher. US-Halbleiter- und Halbleiterausrüstungshersteller hängen am stärksten an China, 29 Prozent ihrer Umsätze werden dort erzielt. Autos und Autoteile (16 Prozent), Technologiehardware & -ausrüstung (15 Prozent), Energie (14 Prozent), langlebige Gebrauchsgüter & Bekleidung sind ebenfalls stärker exponiert. Am chinesischen A-Aktienmarkt ist die IT-Branche mit Umsätzen von 18 Prozent in den Vereinigten Staaten am stärksten exponiert.
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Über die verschiedenen Bereiche verteilt wären die geschätzten Kosten einer Entkopplung beträchtlich. Diese Studie analysiert vier Szenarien und berücksichtigt dabei vier verschiedene Bereiche, die betroffen wären: der Handel, wenn auf alle gehandelten Waren 25 Prozent Zoll erhoben würden; Investitionsflüsse, wenn die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) der USA in China um 50 Prozent zurückgingen; US-Dienstleistungsexporte, wenn chinesische Studenten und Touristen ausblieben sowie F&E-Ausgaben, wenn der Zugang zu chinesischen Talenten und der Wissenschaft erschwert würde.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Kosten auch nur einer teilweisen Entkopplung der USA und Chinas auf jährlich hunderte Milliarden Dollar belaufen könnten. Dazu kämen weitere, schwer zu beziffernde Kosten, die u.a. auf den Verlust von Wettbewerbsvorteilen, den Verlust globaler Standardsetzungsmacht und Lieferkettenersatzkosten zurückzuführen wären.
Rückkehr zu einem multilateralen Vorgehen – eine vage Hoffnung
Daneben gibt es weitere Bereiche, in denen eine Zusammenarbeit zwischen den USA und China sehr wichtig ist. Die Supermächte der Welt müssen bei ökologischen Themen und Klimawandellösungen ebenso zusammenarbeiten wie bei der Bekämpfung der Pandemie, um nur die brennendsten aktuellen Themen zu nennen. Das Sicherheitsrisiko durch neu entstehende Nuklearmächte darf ebenfalls nicht ignoriert werden. Die asiatischen Nachbarn Chinas können nicht gewinnen, egal, auf welche Seite sie sich stellen. China ist für die meisten asiatischen Länder der wichtigste Handelspartner. Die Finanzmärkte der Region sind eng miteinander verflochten. Auch wenn das Misstrauen gegenüber China und seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht steigt, ist die wirtschaftliche Verflechtung eng. Trotz politischer Spannungen wurde im November 2020 die Schaffung der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP, Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft), mit der die größte Freihandelszone der Welt entsteht, unterzeichnet.[11] Ein erstaunlicher Erfolg: Zum ersten Mal werden die Wirtschaftsriesen und erbitterten Konkurrenten China, Japan und Südkorea derselben Freihandelszone angehören, die insgesamt aus diesen Dreien, plus Australien und Neuseeland und 10 ASEAN-Staaten besteht. Aber die Finanzmarktverflechtungen mit den USA und die Komplexität der asiatischen Technologielieferkette, die selbst wiederum eng mit den USA verbunden ist, bedeuten, dass die amerikanisch-chinesische Zusammenarbeit von fundamentaler Bedeutung bleiben wird. Jede erzwungene Entscheidung eines Landes zwischen den Vereinigten Staaten und China wäre negativ.
Obwohl die weitere Verschlechterung der globalen Beziehungen eine reale Gefahr darstellt, gibt es auch die vage Möglichkeit einer Rückkehr zu einem stärker multilateral geprägten Ansatz. Chinas Präsident Xi Jinping überraschte die Welt mit seiner Aussage während des virtuellen Gipfels des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums im November 2020, dass China die Teilnahme am Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) prüfe.[12] Nachdem die Vereinigten Staaten 2017 aus den Verhandlungen zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP) ausgestiegen waren, wurde das Abkommen unter der Führung Japans gerettet, wobei die verbleibenden wichtigsten Mitglieder in der endgültigen Vereinbarung einige umstrittene Punkte entweder fallen ließen oder Kompromisslösungen fanden. Sollte China diesem ehrgeizigen Projekt beitreten, würde dies einem großen Schritt auf dem Weg zurück zu multilateraler Kooperation gleichkommen. Allerdings gibt es keine Garantie, dass Chinas Beitrittsgesuch tatsächlich Erfolg hätte. China müsste allen bereits beschlossenen Regelungen zustimmen, wie Richtlinien über Arbeitsrechte, zu Staatsunternehmen, staatlichen Subventionen, e-Commerce und grenzüberschreitendem Datentransfer. Und einige Verbündete der USA, wie Australien, könnten China dennoch den Beitritt verweigern.
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7/ Gibt es noch ein Zurück?
Ein Wettlauf, auf den die restliche Welt reagieren muss
- Eine neue Dimension. Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China begann als ein Handelskonflikt vor bald vier Jahren. Mittlerweile sind die bilateralen Beziehungen viel komplexer geworden, es geht um grundsätzliche Systemunterschiede, einen strategischen Wettlauf um die technologische Führerschaft, geopolitische Konflikte und Menschenrechtsverletzungen. Â
- Keine rasche Lösung zu erwarten. Obwohl seit Juli Gespräche auf hoher Ebene zwischen China und den Vereinigten Staaten wieder aufgenommen wurden, ist in nächster Zeit nicht mit einem Durchbruch zu rechnen. Die US-Restriktionen gegenüber chinesischen Firmen sind jetzt systematischer (im Vergleich zu 2017-2020), die Maßnahmen stringenter. Zudem macht der politische Kalender für 2022 – sowohl die US-Zwischenwahlen als auch der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas finden im Herbst 2022 statt – Konzessionen unwahrscheinlich, da beide Seiten ihre eigenen Technologiechampions und nationalen Projekte in den Mittelpunkt stellen dürften.
- Der Technologiewettbewerb wird schärfer. Europa droht zurück zu fallen. Die strategische Rivalität der beiden Wirtschaftsmächte birgt Risiken und Chancen. Sie wird wohl auf beiden Seiten schnelle und dramatische technologische Veränderungen auslösen. Auch Taiwan und Südkorea unterstützen ihre eigenen Technologieriesen. Bis 2025 plant Südkorea, etwa 144 Milliarden Dollar zu investieren mit dem Schwerpunkt auf Digitalisierung sowie zehn Schlüsselprojekten von grüner Mobilität bis zu intelligenter Gesundheitsversorgung.[13] Europa muss aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Das ist umso wichtiger, weil die fortlaufende wirtschaftliche und handelspolitische Integration Asiens und besonders die anstehende Wirtschaftspartnerschaft RCEP Asien noch wettbewerbsfähiger machen dürfte.
- Abkopplung führt längerfristig zu höheren globalen Güterpreisen und reduziert das Wachstumspotenzial. Die Hauptrisiken liegen in einer möglichen Eskalation oder weiteren Verschlechterung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen und einer möglichen Beschädigung der asiatischen Technologielieferketten. Sollten Entscheidungen über Produktionsstandorte nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern aus dem Motiv der Unabhängigkeit oder aufgrund geopolitischer Fragen getroffen werden, so mögen die Auswirkungen – niedrigere Effizienz und höhere Warenpreise – vielleicht nicht unmittelbar spürbar sein, sie wären auf längere Sicht aber nicht weniger schädlich.
- Zum Schluss noch eine beruhigende Feststellung. Trotz allen verbalen Säbelrasselns und trotz der die bilateralen Beziehungen belastenden Restriktionen und Hürden haben sich die beiden Volkswirtschaften in der letzten Zeit in einigen Bereichen angenähert. Der bilaterale Handel boomt, obwohl die Strafzölle auf beiden Seiten weiter in Kraft sind. China hat seine Bestände an US Treasuries bis zuletzt weiter aufgestockt. Und immerhin scheint es einen wichtigen Bereich zu geben, in dem beide Staaten zusammenarbeiten wollen: bei Umweltschutz- und Klimapolitik.