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- Der Nebel verzieht sich nur sehr langsam
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Gut möglich, dass wir in zwölf Monaten froh sind, wenn sich unsere jüngsten Renditeprognosen bewahrheiten. Und das, obwohl sie ohnehin recht vorsichtig sind. Bei Aktien speist sich das niedrig einstellige Renditepotential fast ausschließlich aus den erwarteten Dividendenauszahlungen. Und bei Anleihen winkt zwar mehr als in manchem Vorjahr, allerdings drücken mögliche weitere Erhöhungen der Leitzinsen oder der Risikoprämien auf das Renditepotenzial. Diese Prognosen basieren auf unserem Kernszenario. Doch die Basis für die Prognosen ist unzuverlässiger, als es die recht soliden Kapitalmärkte suggerieren würden. Wie wackelig derzeit das makro-ökonomische Fundament ist, haben die ersten beiden Monate des Jahres eindrücklich gezeigt. Im Januar dachten die Anleger, fast nur Positives zu sehen. Etwa eine stärker als erwartete Konjunktur in den USA bei gleichzeitig zurückgehenden Inflationssorgen. Schon im Februar wendete sich das Blatt, auch weil einige der publizierten Wirtschaftszahlen nach unten revidiert wurden. Was daran erinnern sollte, wie stark einige Zahlenreihen durch die Covid-Episode durcheinandergeraten sind. Sie könnten noch einige Quartale falsche Signale senden. Jedenfalls machte das hässliche Wort Stagflation schnell die Runde, auch wenn wir derzeit wenig davon halten. Um nur ein Beispiel zu nennen, wie schnell sich Marktmeinungen geändert haben: Seit Anfang Februar sind die Inflationserwartungen[1] in den USA um über einen ganzen Prozentpunkt auf jetzt 3,4 Prozent gestiegen.
Bei Aktien speist sich das niedrig einstellige Renditepotential fast ausschließlich aus den erwarteten Dividendenauszahlungen
Für weiteres Überraschungspotenzial beim Thema Inflation und (Zentralbank-) Zinsen spricht unseres Erachtens: 1) Inflationszahlen auf heutigem Niveau gab es zuletzt in den 1980ern[2]. 2) Trotz einer restriktiveren Geldpolitik bleiben die Arbeitsmärkte stark. Und die Finanzierungskonditionen unterstützend. Und richtiger Stress an den Finanzmärkten bleibt aus. Trotz höherer Zinsen und Inflationsraten bleiben die Verbraucher vor allem in den USA in erstaunlicher kauffreudig[3]. 3) Geldpolitik wirkt mit einem Zeitverzug von mehreren Quartalen, was ein Überreagieren der Zentralbanken fördern könnte. Zu diesen Problemen reiht sich noch eine schwer prognostizierbare Reaktion der Kapitalmärkte: wie lange würde der Markt eine lockere Geldpolitik feiern, bevor er sich über die Gefahr einer verschleppten Inflationsbekämpfung sorgen würde[4]? Andersherum wird es noch komplizierter: wie lange würde der Schrecken an den Märkten über eine kurzfristig striktere Geldpolitik anhalten, wenn damit auch die Überzeugung steigen würde, die Inflation bis 2024 weitgehend unter Kontrolle zu haben? Und würde diese Entspanntheit dann nicht wieder die Zentralbankbemühungen konterkarieren (siehe Punkt 2b oben)?
Ich räume diesen Überlegungen so viel Platz ein, um zu verdeutlichen, dass nicht nur die Zentralbanken, sondern auch die Anleger sich in diesem Umfeld von einem zum nächsten makroökonomischen Datenpunkt hangeln müssen – „data dependent“, wie es die Zentralbanker nennen. Das Prognosegerüst, das letztlich verabschiedet wurde, sieht folgendermaßen aus:
- Wachstum/Rezession: Im Allgemeinen haben sich die Volkswirtschaften besser entwickelt als befürchtet, sind aber in absoluten Zahlen immer noch schwach. Für die USA erwarten wir weiterhin eine leichte Rezession im Laufe des Jahres, die Eurozone dürfte dem knapp entkommen. Die anschließende Erholung bleibt moderat (1,1 Prozent für 2024 für beide Regionen). In China hingegen erwarten wir mehr als fünf Prozent BIP-Wachstum für 2023 und 2024.
- Inflation und Zentralbanken: Wir denken, dass die Zentralbanken fast alles tun werden, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen[5]. Bis Ende 2024 sehen wir Inflationsraten von unter drei Prozent für die Eurozone und die USA, auch wenn der Rückgang der Kerninflation derzeit schleppender als erhofft verläuft. Allerdings sehen wir in einigen Bereichen (Kreditnachfrage der Unternehmen und der Hausbauer, Zeitarbeit, M1-Geldmangenwachstum) auch erste durch die bisherigen Zinserhöhungen verursachten Bremsspuren. Wir erwarten, dass die Fed-Funds bei 5,5 Prozent, und der EZB-Einlagensatz bei vier Prozent ihren Höchststand erreichen werden und das noch im zweiten Quartal. Von der Bank of Japan erwarten wir ein allmähliches Ende der Renditekurvensteuerung, gefolgt von zwei kleinen, symbolischen Zinserhöhungen.
- Festverzinsliche Wertpapiere: Wir denken, dass die Staatsanleiherenditen ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben und sehen auf zwölf Monate 10-jährige Treasuries bei 4,3 Prozent und 10-jährige Bundesanleihen bei 2,9 Prozent. Nur bei 2-jährigen Treasuries sehen wir rückläufige Renditen (Ziel: 4,4 Prozent), weswegen wir diese positiv sehen. Bei Unternehmens- und Schwellenländeranleihen kann es zwar zu einer Ausweitung der Risikoprämie kommen, doch bieten die hohen laufenden Renditen einigen Risikopuffer, insbesondere auf Basis guter Unternehmensbilanzen. Wir erwarten eine leichte Aufwertung von Euro und Yen gegenüber dem Dollar.
- Aktien: Angesichts hoher Zinsen, stagnierender Gewinne, aber immer noch hoher Gewinnspannen in den Industrieländern sehen wir wenig Aufwärtspotenzial für globale Aktien. Unsere Zielmarken auf zwölf Monate lauten 4,100 für den S&P 500; 16,300 für den Dax und 480 für den Stoxx 600. Eine überdurchschnittliche Entwicklung trauen wir europäischen Nebenwerten, Asien und dem Kommunikationssektor zu.
- Alternativen: Wir gehen davon aus, dass Brent-Öl in 12 Monaten bei 100 USD pro Barrel und Gold bei 1940 USD je Feinunze gehandelt wird.