01. Okt. 2024 CIO Flash

Chinas Rettungsaktion

Können die jüngsten politischen Maßnahmen das Wachstumsziel Chinas retten?

  • Die chinesische Regierung kündigte ein ganzes Bündel von ökonomischen Maßnahmen an, mit dem Ziel das BIP-Wachstum von 5 % wieder ins Blickfeld zu rücken.
  • Das Konjunkturpaket umfasst geldpolitische Lockerungen in Form von Zinssenkungen und einer Senkung des Mindestreservesatzes, potenzielle steuerliche Unterstützung und gezielte Maßnahmen für den Immobiliensektor.
  • Die Konjunkturmaßnahmen haben zwar eine Markterholung ausgelöst, ihre langfristige Wirksamkeit ist jedoch ungewiss. Der Abschwung auf dem Immobilienmarkt und der schleppende Konsum stellen eine große Herausforderung dar, und die volle Wirkung der Maßnahmen sollte möglicherweise erst im Laufe des Jahres sichtbar werden.

Das Politbüro stellt wirtschaftliche Stimuli vor

Um der wirtschaftlichen Verlangsamung entgegenzuwirken und das Vertrauen in den Markt wiederherzustellen, hat die chinesische Zentralbank in einem kühnen Schritt eine Reihe von robusten Konjunkturmaßnahmen vorgestellt.  Eine anschließende entscheidende Sitzung des Politbüros überraschte mit einem starken Bekenntnis zu den Wirtschaftswachstumszielen und zielt zum ersten Mal darauf ab, den Rückgang zu stoppen und eine Stabilisierung des Immobilienmarktes zu erreichen.  Diese Ziele umfassen umfangreiche geld- und fiskalpolitische Interventionen, um das angestrebte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5 % zu erreichen. Diese Ankündigungen haben zum stärksten Anstieg des Blue-Chip-Index CSI300 geführt, welcher nun fast 30 % über seinem Tiefstand vom Februar liegt. Viele Anleger, die befürchteten, den bevorstehenden Aufschwung vor einem einwöchigen Feiertag zu verpassen, ließen den CSI300-Index bis zum Börsenschluss um 8,5 % steigen, womit der Fünf-Tage-Zuwachs auf über 25 % anstieg - der stärkste in der Geschichte.[1]

Zu den wichtigsten Maßnahmen, die den Märkten zu diesem Tempo verholfen haben, gehört die von der People's Bank of China (PBOC) umgesetzte Senkung des Mindestreservesatzes für Banken um 50 Basispunkte (bps). Dies reduziert den Anteil der pfändbaren Verbindlichkeiten, die Geschäftsbanken halten müssen, anstatt sie zu verleihen oder zu investieren. Dieser Schnitt ist gekoppelt mit einer Senkung des 7-Tage-Reverse-Repo-Satzes um 20 Basispunkte auf 1,50 %, beides mit dem Ziel, die Liquidität zu erhöhen und die Nachfrage zu steigern. Dies soll wiederum deflationäre Tendenzen bekämpfen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Während wir ähnliche Maßnahmen bereits zuvor gesehen haben, ist die von der chinesischen Zentralbank neu eingeführte Aktienkapitalfazilität in diesem Versuch, die Liquidität zu erhöhen, beispiellos. Diese Fazilität ermöglicht es nicht-bankmäßigen Einrichtungen, hochwertige Aktienkapitalbestände als Sicherheit für Kredite von der Zentralbank zu verwenden, mit einer anfänglichen Quote von 500 Milliarden Renminbi (RMB). Darüber hinaus können börsennotierte Unternehmen Refinanzierungskredite für Aktienrückkäufe beantragen, unter einer vorläufigen Quote von 300 Milliarden RMB. Ihr Hauptziel ist es, das Marktvertrauen zu stärken, Investitionen anzuregen und die Liquiditätsengpässe von Unternehmen zu verringern.[2]

Der Immobilienbereich erfährt ebenfalls bedeutende Eingriffe. Die Zinssätze für bestehende Hypotheken wurden um 50 Basispunkte gesenkt, was zu einer voraussichtlichen Reduzierung der Zinsaufwendungen von Haushalten um 150 Milliarden RMB pro Jahr führen soll. Diese Maßnahme könnte nicht nur dem Immobilienmarkt helfen, sondern auch die Konsumfähigkeit privater Haushalte erhöhen, da die Senkung der Zinsaufwendungen zu einem um 2,5 % höheren verfügbaren Jahreseinkommen für berechtigte Haushalte führen würde. Zudem wurden weitere Lockerungen für den Immobilienkauf angekündigt. Während die Kaufbeschränkungen in einigen tier-2 Städten aufgehoben wurden, liegt der Unterschied dieses Mal in den Lockerungsmaßnahmen in einigen tier-1 Städten. Am Wochenende kündigten drei diese Städte weitere Lockerungsmaßnahmen an: Guangzhou wurde die erste Stadt, die die Kaufbeschränkungen für Immobilien vollständig aufhob, während die Lockerung der Beschränkungen in Shanghai und Shenzhen teilweise erfolgte. Die "starke" Botschaft im Immobilienbereich war der Aufruf des Politbüros, "den Abschwung zu stoppen und zu stabilisieren" und nicht "den Abschwung zu stoppen und anschließend zu steigen", was für Investoren Raum Fantasie geschaffen hat.

Im Bereich der fiskalischen Maßnahmen wird erwartet, dass das Konjunkturpaket gezielte Unterstützung zur Linderung der finanziellen Belastungen der Haushalte und zur Ankurbelung des Verbrauchs führen sollte. Bisher sind das Ausmaß und die Details der geplanten fiskalischen Anreize allerdings nicht bekannt. Wahrscheinlich werden mindestens 1-2 Milliarden RMB verfügbar gemacht, um das Konsumumtauschprogramm („alt gegen neu“) auszubauen, die Sozialausgaben zu erhöhen und die Schulden der lokalen Regierungen umzustrukturieren.[3] Die Größe und Spezifika des fiskalischen Pakets wurden noch nicht offiziell bestätigt. Weitere Details werden voraussichtlich Ende Oktober bekannt gegeben, da die vorgeschlagene Finanzierung mit ultralangen Sonderanleihen der Zentralregierung Haushaltsanpassungen erfordert. Dabei wird die Konsumförderung wahrscheinlich darauf abzielen, das verfügbare Einkommen zu stützen, indem die Ausgaben der Haushalte für Altenpflege, Rente, Gesundheit, Bildung und bezahlbaren Wohnraum reduziert werden. Auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat hohe Priorität, und es werden entsprechende Maßnahmen erwartet. Möglicherweise wird es zusätzliche Direktzahlungen an Verbraucher geben, um kurzfristig einen Aufschwung zu erzielen. Zudem könnten neue Infrastrukturprojekte angekündigt werden, falls Dringlichkeit empfunden wird, im vierten Quartal den Aufschwung weiter zu unterstützen.

 

Was leiten wir aus diesen Eingriffen ab?

Trotz der zahlreichen geldpolitischen Maßnahmen, wie z. B. der Senkung der Leitzinsen und der Hypothekenanzahlung, bleibt die Wirksamkeit fraglich. Diese Maßnahmen ermöglichen es den Haushalten zwar theoretisch, Kredite zu niedrigeren Kosten aufzunehmen, aber der derzeitige Abschwung auf dem Immobilienmarkt bremst die Bereitschaft den Anteil an Fremdfinanzierung zu erhöhen. Folglich ist es ungewiss, ob diese Initiativen die Wirtschaftstätigkeit wesentlich beleben werden.

Dieser gedämpfte Ausblick könnte sich mit der Veröffentlichung der Verbrauchs- und Reisedaten in der Zukunft bestätigen, da nur wenig Optimismus für positive Zahlen besteht. Es wird jedoch erwartet, dass die Mitte Oktober stattfindende Sitzung des Nationalen Volkskongresses Licht auf eine mögliche Ausweitung des Haushaltsdefizits werfen wird, was die Stimmung am Markt aufhellen könnte. Parallel dazu werden die Ergebnisberichte für das dritte Quartal veröffentlicht, die für die meisten Unternehmen möglicherweise einen Rückgang gegenüber dem Vorquartal bedeuten könnten. Bleibt die allgemeine Marktstimmung jedoch stabil, könnten die Anleger relativ unbeeindruckt bleiben, was die Abwärtsrisiken für die Zukunft begrenzen würde.

Zur Unterstützung der Inlandsnachfrage könnte eine verstärkte Finanzierung von Sozialreformen die finanzielle Stabilität der privaten Haushalte nachhaltig fördern. Angesichts des von China angestrebten BIP-Wachstums von rund 5 % könnten die jüngsten politischen Maßnahmen positive Nachfrageeffekte bewirken, die sich möglicherweise ab Ende des Jahres bemerkbar machen werden. Anfänglich verlief die Umsetzung früherer Maßnahmen, wie das 500 Mrd. RMB umfassende Programm zur Wiedervergabe von Krediten an staatseigene Unternehmen und die Umwandlung überschüssigen Wohnraums in Sozialwohnungen durch die lokalen Regierungen sowie die 300 Mrd. RMB umfassende Finanzierungsinitiative für Verbrauchersubventionen im Juli, schleppend. Seitdem hat sich die Dynamik dieser Initiativen jedoch verstärkt, was auf bessere Wirtschaftsaussichten hindeuten könnte.

Die drängende Frage ist, ob das potenzielle Fiskalprogramm das Marktvertrauen über die kurzfristigen Effekte hinaus deutlich stärken wird. Des Weiteren bleibt die voraussichtliche Rekapitalisierung der Banken in Höhe von 1 Mrd. RMB und die Unterstützung des Schuldenerlasses für die lokalen Gebietskörperschaften wichtige Schwerpunktbereiche. Sollte es zu einer fiskalischen Wende kommen, könnte sich eine bessere Koordinierung zwischen Finanz- und Geldpolitik ergeben. Angesichts der Tatsache, dass der Immobilienabschwung die jährlichen Staatseinnahmen um rund 8,6 Billionen RMB verringert hat und die Einnahmen aus der Einkommens- und Körperschaftssteuer seit Jahresbeginn um mehr als 5 % gesunken sind, könnte ein darüber hinausgehender fiskalischer Impuls erforderlich sein, um die Ausfälle zu kompensieren und die Wirtschaft zu stabilisieren. Selbst mit den in den kommenden Monaten zu erwartenden fiskalischen Impulsen werden die lokalen Regierungen Zeit benötigen, um tragfähige Investitionsprojekte zu identifizieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die neu angekündigten Konjunkturmaßnahmen zwar einen vielschichtigen Ansatz zur Wiederbelebung der Wirtschaft darstellen, ihr Erfolg jedoch von einer rechtzeitigen und wirksamen Umsetzung und der Bewältigung der bestehenden strukturellen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt und in der breiteren wirtschaftlichen Landschaft abhängen wird.

 

Auswirkungen auf die Anlageklassen

Aktien:

Es ist anzumerken, dass frühere Markterholungen im Gefolge bedeutender Konjunkturprogramme zu ebenso abrupten Marktbewegungen geführt haben, selbst wenn man nur die letzten drei Jahre betrachtet. In allen Fällen verlor die Marktbegeisterung bald an Schwung, da den Konjunkturprogrammen Folgeprogramme fehlten. Wenn es den derzeitigen Maßnahmen nicht gelingt, das Interesse der inländischen Verbraucher wieder zu wecken, könnte die Wirkung der Reformen nur von kurzer Dauer sein. Auch wenn die Ergebnisse aufgrund des breiten Spektrums der ergriffenen Maßnahmen zunächst beeindruckend sind, könnten sie dennoch nicht ausreichen, um den Verbraucher wieder zu beleben, da wesentliche Teile der inländischen Probleme, wie der starke Rückgang der Immobilienpreise, weitgehend unangetastet bleiben. Wir halten den chinesischen Aktienmarkt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von nur 9,5x für 2025 für optisch günstig, was ein positives Neubewertungspotenzial offen lässt, solange der Optimismus des Marktes hinsichtlich weiterer Reformen nicht schwindet. Wenn der anfängliche Optimismus erst einmal verdaut ist und keine weiteren Strukturreformen angekündigt werden, könnten sich chinesische Aktien erneut als „Value-Trap“ erweisen und die derzeitige Rallye nur von kurzer Dauer sein.

 

Anleihen:

In den nächsten drei Monaten dürften die umfangreichen Maßnahmen zur Stabilisierung des Immobilienmarktes den immobilienbezogenen Kreditinstrumenten Auftrieb geben. Anhaltende Zinssenkungen in allen Finanzsektoren - insbesondere bei Hypotheken und Einlagen - deuten darauf hin, dass die Geldpolitik auf eine Lockerung zusteuert, was den Kreditmärkten durch niedrigere Kreditkosten zugute kommt. Darüber hinaus zielt die Beibehaltung des festen RMB-Wechselkurses gegenüber dem USD darauf ab, eine positive Stimmung zu fördern und ausländische Kreditströme anzuziehen. Die massive Emission von Schuldtiteln durch staatseigene Unternehmen und Körperschaften auf den lokalen und Offshore-Märkten wird Anlagemöglichkeiten bei festverzinslichen Vermögenswerten bieten, da diese Unternehmen versuchen, ihre Bilanzen aufzufüllen und die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln.

Mittel- bis langfristig wird die Entwicklung der Kreditinstrumente weitgehend von der Inlandsnachfrage abhängen. Die anstehenden Daten werden entscheidend sein; ermutigende Zahlen zu Immobilienverkäufen und Konsum könnten die Maßnahmen der Regierung bestätigen und den Kreditmarkt stabilisieren. Umgekehrt könnten enttäuschende Zahlen zu einer erheblichen Rückabwicklung der jüngsten Investitionen führen, was den Anfang 2023 beobachteten Abschwung widerspiegeln würde. Die Anleger werden wahrscheinlich weiterhin vorsichtig optimistisch bleiben, aber stark auf die Wirtschaftsindikatoren reagieren, was die Bedeutung einer strategischen Positionierung auf den Kreditmärkten unterstreicht, um potenzielle Volatilität effektiv zu steuern.

 

Immobilien:

Die chinesische Regierung hat die meisten nachfrageseitigen Lockerungsmaßnahmen zur Stützung des Immobilienmarktes nahezu ausgeschöpft. Während die Aufhebung der Beschränkungen für den Erwerb von Wohneigentum in der Regel nur zu einem kurzfristigen Anstieg des Verkaufsvolumens geführt hat, wird eine nachhaltige Erholung der Immobilienverkäufe für die Entwicklung des Sektors entscheidend sein. Die jüngsten Daten der 100 größten Bauträger zeigen einen sich verschlechternden Markt, der im September einen erheblichen Rückgang verzeichnete. Obwohl die jüngsten Maßnahmen, einschließlich der Lockerung der Wohnbeschränkungen in den Tier-1-Städten, im Oktober zu einem Anstieg der Verkaufszahlen führen könnten, ist eine anhaltende Verbesserung in den kommenden Monaten erforderlich.

Die Herausforderungen bleiben bestehen, vor allem weil einige nicht mehr benötigte Bestände aufgrund von Standort- und Qualitätsproblemen wahrscheinlich keinen nennenswerten Umsatz erzielen werden. Außerdem ist es nicht sinnvoll, von der Regierung zu erwarten, dass sie alle überschüssigen Bestände aufkauft. Ein Hoffnungsschimmer könnte sein, dass chinesische Banken bereits einen beträchtlichen Teil dieses toten Inventars in ihren Krediten erfasst haben, was ein gewisses finanzielles Risiko mildert. Der Erwerb von Grundstücken durch börsennotierte Staatsunternehmen wird ein wichtiger Indikator für die Marktstabilisierung sein. Trotz der insgesamt rückläufigen Verkäufe haben staatliche Unternehmen besser abgeschnitten als private Bauträger und könnten bei einer nachhaltigen Erholung der Verkäufe eine führende Rolle in diesem Sektor spielen, was auf eine mögliche Erholung des Marktes hindeuten würde.

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1. https://www.reuters.com/markets/asia/china-stocks-set-best-month-nearly-decade-stimulus-cheer-2024-09-30/

2. Daten stammen, wenn nicht anders angegeben, von Bloomberg Finance L.P., Stand: 30.9.2024.

3. https://www.reuters.com/markets/asia/chinas-central-bank-cuts-banks-reserve-requirement-ratio-by-50-bps-2024-09-27/

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