01. Juli 2024 Wahlen

US-Wahlen – so richtungsweisend?

In den verbleibenden Monaten bis zur Wahl könnten die Märkte die Gestaltungsmacht des neuen Präsidenten überschätzen. Das könnte Anlagechancen eröffnen.

Björn Jesch

Björn Jesch

Global Chief Investment Officer
Peter Doralt

Peter Doralt

Senior Research Analyst Thought Leadership
Francis (Frank) J. Kelly

Francis (Frank) J. Kelly

Founder & Managing Partner, Fulcrum Macro Advisors LLC and Senior Political Strategist for DWS
  • Weder Biden noch Trump könnten 2028 erneut antreten, da die US-Verfassung die Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Amtszeiten begrenzt.
  • Deshalb ist es wahrscheinlich, dass der nächste Präsident zu einer „lahmen Ente“ wird, mit deutlich weniger Handlungsspielraum als von vielen erwartet.
  • So könnte 2024 eines der weniger folgenreichen US-Wahljahre der jüngeren Geschichte darstellen.
  • Aus Marktperspektive könnten sich hierbei Chancen ergeben, wenn Märkte verunsichert sind und politische Risiken zeitweise überbewerten.

Eine spannende Wahl, die nicht unbedingt so folgenreich ist, wie sie sich anfühlen wird

„Die wichtigste Wahl unseres Lebens“ ist ein beliebtes Klischee unter US-Politikexperten. Schlagzeilenautoren und Werbeagenturen neigen dazu, diese Aussage fast alle vier Jahre zu verbreiten.[1]In dieser Hinsicht wird auch das Jahr 2024 nicht anders sein – aber es wird sich auffallend anders anfühlen, nicht zuletzt für Anleger auf der ganzen Welt. Wir behaupten, dies reflektiert nicht nur die Erfahrungen der letzten acht Jahre: politische Turbulenzen, angefangen mit der Brexit-Saga, die zu Marktturbulenzen führen. Sondern vielmehr – und wie wir in unserem Special zur US-Wahl 2020 betonten – erlebt die US-Politik einen jener richtungsweisenden Umbrüche, die nur alle paar Jahrzehnte vorkommen.[2] In hohem Maße spiegelt dies die sich verändernte Wählerschaft der beiden großen Parteien wider.[3]

In der Wirtschaftspolitik, insbesondere im Außenhandel, war die Abkehr vom republikanischen Denken der Reagan-Ära der 1980er Jahre bereits 2020 in vollem Gange. Wir sehen zunehmend Zeichen für ähnliche, aber zunehmend unberechenbare Wendungen im republikanischen Denken, weit über den Außenhandel hinaus, von der Außenpolitik bis hin zur Geldpolitik.[4] Die Hilfe für die Ukraine ist ein Paradebeispiel dafür, wie zerstritten die Republikaner im Kongress sind.[5]

Solche Zwistigkeiten sind – in beiden Parteien – keine Unbekannten.[6]Die wachsende Tendenz der Republikaner, den Blick nach innen zu werfen, hat tiefe Wurzeln im konservativen Denken. Das letzte Mal, als Isolationismus kurz davor stand, zu einer dominierenden Idee innerhalb der Partei zu werden, liegt allerdings schon einige Zeit zurück: man müsste auf den Nominierungskampf der Republikaner im Jahr 1940 und Wendell Willkies Überraschungssieg über jene zurückblicken, die damals unter dem Motto „Amerika First“ das Land aus dem Krieg in Europa heraushalten wollten. Derzeit sollten der Einfluss und die Persistenz eines ausgewachsenen amerikanischen Isolationismus-Gedanken jedoch nicht überbewertet werden. Jede republikanische Regierung, egal ob sie nach 2024, 2028 oder 2032 an die Macht kommt, wird zwangsläufig mit globalen Realitäten konfrontiert werden, so wie sie sie am Tage ihrer Amtseinführung vorfindet.[7] Nichtsdestotrotz ist es nicht verwunderlich, dass Amerikas Freunde und Verbündete auf der ganzen Welt auf jede noch so kleine Wendung dieses speziellen US-Wahlkampfs mit großem Interesse und gewisser Besorgnis blicken.[8]Nicht zuletzt im Lichte des Fernsehduells zwischen den beiden Kandidaten in der vergangenen Woche und zahlreichen Aufforderungen, Joe Bidens möge sich aus dem Rennen zurückziehen.[9] Solche Szenarien waren nie auszuschließen, aber wir würden vor allzu schnellen Schlüssen warnen. Ein wenig Geduld dürfte angebracht sein, zumindest bis mehr Umfrageergebnisse vorliegen – die Reaktionen der Wähler können ziemlich unvorhersehbar sein.


1 / Amtszeitbeschränkungen und der nächste US-Präsident

1.1   Die Chancen stehen weiter gut, dass der nächste Präsident recht schnell zu einer „lahmen Ente“ wird.

Aus Marktperspektive hingegen gibt es ein besonderes Merkmal der US-Präsidentschaftswahlen 2024, das sich möglicherweise als weitaus bedeutsamer erweisen dürfte. Man möge es als das am meisten übersehene Alleinstellungsmerkmal dieser Wahlsaison und ihrer Folgen in Bezug auf die US-Wirtschaft und die Finanzmärkte betrachten.

Denn zumindest in einer wichtigen Hinsicht wird das Jahr 2024 wahrscheinlich objektiv beispiellos sein.[10] Es erscheint weiter wahrscheinlich, wenn auch keineswegs sicher, dass es zu einem weiteren Zweikampf zwischen den Nominierten der beiden großen Parteien von 2020 kommt und kein anderer Kandidat eine große Chance hat.[11]Falls dies zutrifft, wäre dies das erste Mal seit über 100 Jahren, dass ein amtierender US-Präsident und ein ehemaliger Amtsinhaber bei den allgemeinen Wahlen gegeneinander antreten (1912 kommt dem am Nächsten). Alle vorherigen Fälle ereigneten sich zudem vor der Ratifizierung des 22. Zusatzartikels zur US-Verfassung im Jahr 1951, der die Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Amtszeiten beschränkt.[12] Dies bedeutet, dass – egal ob Trump oder Biden dieses Jahr gewinnt – der nächste Präsident höchstwahrscheinlich eine Amtszeitbeschränkung haben wird, es sei denn, die Verfassung wird geändert, was äußerst schwierig wäre. Zumindest im modernen US-Kontext haben erfahrene Beobachter und sogar Historiker so etwas noch nie erlebt.

Es ist recht schwierig, die Implikationen der Amtszeitbeschränkung für bestimmte Politikbereiche zu durchdenken.[13] Der Begriff „lahme Ente“ (“lame duck“) scheint auf die Londoner Börse (LSE) des 18. Jahrhunderts zurückzugehen und bezeichnete ein Mitglied, das seine Schulden nicht begleichen konnte und deshalb gezwungen war, die Börse zu verlassen (d. h. seine LSE-Mitgliedschaft verlor).[14] Ebenso wie die Gefahr eines Zahlungsausfalls kann die Aussicht darauf, eine „lahme Ente“ zu werden, risikofreudiges Verhalten fördern. In der Politik bezieht sich der Begriff typischerweise auf einen ineffektiven Führer – jemanden, der noch im Amt ist, aber nicht mehr viel Macht ausübt, beispielsweise einen US-Präsidenten in seiner zweiten Amtszeit, der bei den Halbzeitwahlen eine schwere Niederlage erlitten hat.

Um diese Idee auf das Jahr 2024 und die kommende Amtszeit anzuwenden, muss man verstehen, woher die Macht des Präsidenten – in den USA und anderswo – kommt. Das US-Präsidentenamt mag das mächtigste gewählte Amt der Welt sein. Aber wie in anderen stark persönlichkeitsbasierten Machtsystemen beruht der Einfluss des US-Präsidenten teilweise darauf, zu entscheiden, wer bestraft und wer belohnt wird – und das nicht nur in der Gegenwart, sondern auch weit hinein in die Zukunft. Je kürzer oder unsicherer dieser zukünftige Zeithorizont ist, desto weniger glaubwürdig werden präsidentielle Drohungen bzw. in Aussicht gestellte Belohnungen.

Ähnliche Dynamiken sind in jedem persönlichkeitsbasierten System am Werk: Manche davon sind sogar anhand alternder Könige oder betagter Autokraten leichter zu verstehen, als bei demokratisch gewählten Politikern. In solchen Systemen wenden die Machthaber das Teile-und-Herrsche-Prinzip oft absichtlich auf die Eliten an. Alles wirkt beständig, bis der Autokrat schwer erkrankt, einen massiven Popularitätsverlust erleidet oder einfach ein Alter erreicht, das die Erwartung eines Machtwechsels nährt und eine Welle von Spekulationen über mögliche Nachfolger auslöst.[15]

Unserer Ansicht nach ist dieser grundlegende Fakt über die Wahl 2024 wichtiger als alles, was die beiden Spitzenkandidaten zwischen jetzt und dem Wahltag im November sagen oder versprechen werden. Sofern es bei den Präsidentschaftskandidaten der beiden Parteien keinen Wechsel gibt (und ein anderer Republikaner oder Demokrat die aktuellen Kandidaten ersetzt), ist es aufgrund der Amtszeitbeschränkungen in den USA absehbar, dass einer der beiden Spitzenkandidaten früher oder später zur lahmen Ente wird.



2 / Von der watschelnden Ente hin zur lahmen Ente

2.1 Drei plausible Szenarien für die Wahl und ihre Folgen

In den nächsten Monaten wird zweifellos viel Tinte bei Versuchen verbraucht werden, den Ausgang der US-Wahlen dieses Jahres vorherzusagen – vermutlich auch von uns. Sowohl für das Präsidentschaftsamt als auch für den Kongress wird diese Wahl fesselnd, aber zeitgleich schwierig vorherzusagen sein. Die voraussichtlichen Kandidaten beider großen Parteien sind alt und bei der allgemeinen Wählerschaft außergewöhnlich unbeliebt.[16] Hinzu kommen die Komplikationen, die sich aus der Art und Weise ergeben, wie die Vereinigten Staaten ihren Präsidenten durch das Electoral College wählen - ein Thema, auf das wir zweifellos noch oft zurückkommen werden.[17]

Momentan genügen ein paar Beobachtungen zum Gesamtbild. Beide Spitzenkandidaten haben Umfragen zur Folge offenbar Mühe, in ungewöhnlich vielen Bundesstaaten mehr als 50 Prozent der jeweiligen Wähler zu überzeugen, und für Meinungsforscher ist es viel zu früh, mehr als begründete Vermutungen über die wahrscheinliche Zusammensetzung der dann tatsächlich teilnehmenden Wählerschaft anzustellen.[18] Nimmt man die Unsicherheit hinzu, wo und welche unabhängigen Kandidaten von Drittparteien es auf die Wahlzettel in den einzelnen Bundesstaaten schaffen und wie sie ihren Wahlkampf führen werden, so möchten wir zweifellos davor warnen, zu viel Aufmerksamkeit auf das zu richten, was nationale Umfragen oder gar Umfragen in vermeintlich entscheidenden Bundesstaaten („Swing States“) derzeit zeigen. Im November könnte die Wahllandschaft ganz anders aussehen.[19]

Auch andere Maße, wie Umfragen zur generischen Wählerpräferenz für das Repräsentantenhaus (abseits der spezifischen Kandidaten im jeweils eigenen Wahlkreis), lassen darauf schließen, dass die Wähler weiterhin wenig begeistert davon sind, einer der beiden großen Parteien die gesamte Macht anzuvertrauen.[20] Kurz gesagt: Die Wahllandschaft bietet weiterhin Raum für viele überraschende Wendungen, von Änderungen der Präsidentschaftskandidaten und ungewöhnlich starken unabhängigen Kandidaten bis hin zu Ergebnissen, bei denen keiner der beiden Kandidaten 270 Stimmen im Electoral College erhält.[21] Wähler, die sowohl von Trump als auch von Biden enttäuscht sind, wissen fast per Definition selten Monate im Voraus, was sie im November tun werden.[22]

Für Anleger ist es unserer Meinung nach dennoch sinnvoll, sich auf diverse Pattkonstellationen einzustellen, in denen die Partei des kommenden Präsidenten sich mit zumindest einer Parlamentskammer konfrontiert sieht, die von der jeweils anderen Partei kontrolliert wird. Als Basisszenarien verdienen diese die meiste Aufmerksamkeit, gefolgt von sehr knappen Mehrheiten für die Partei des kommenden Präsidenten in beiden Kammern. Zum Zwecke der Szenarioplanung möchten wir drei plausible Szenarien hervorheben, die denen ähneln, die wir 2020 eingeführt haben. Man betrachte diese als mittlere Instanzen innerhalb einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, die alle Ergebnisse erfasst, die vergleichbar plausibel erscheinen, während die unwahrscheinlicheren Ergebnisse an beiden Extremen ignoriert werden:

  • Patt in Washington: Diese Gruppe von Wahlausgängen wird typischerweise durch verschiedene Kombinationen einer geteilten Regierung verkörpert. Die genauen Dimensionen einer solchen Konstellation könnten große Auswirkungen auf einzelne Sektoren haben. Für den Gesamtmarkt ist die wichtigste Erkenntnis jedoch, dass die Notwendigkeit überparteilicher Kompromisse den Spielraum für große Überraschungen begrenzt.
  • Demokraten siegen überall knapp: Bei einer zweiten Gruppe von Wahlausgängen hingegen fallen alle Ergebnisse, einschließlich der wichtigen Senatswahlen, zugunsten der Demokraten aus. Wir möchten hierbei darauf hinweisen, dass die Grenzen zwischen einem klaren Patt und äußerst knappen Mehrheiten sich als recht fließend erweisen könnten. Angesichts einer noch größeren Abhängigkeit von zentristischen Abgeordneten und Senatoren würden wir erwarten, dass ein Sieg der Demokraten weniger folgenreich und auch nur von kurzer Dauer wäre (da er wahrscheinlich zum Verlust einer oder beider Kammern bei den Halbzeitwahlen 2026 führen würde). Und davor noch bestünde das Risiko, dass die Mehrheit durch Tod, Skandal oder Rücktritt schrumpft oder verschwindet.
  • Republikaner siegen überall knapp: Letztendlich muss auch eine republikanische Welle in Betracht gezogen werden, hauptsächlich als Mahnung, was nötig wäre, um weit weg von den Pattsituationen zu landen. Eine weitere Trump-Präsidentschaft könnte den Marktteilnehmern viel alltägliches Drama und Theaterdonner bescheren, doch zumindest momentan ist es schwer vorstellbar, dass ein entsprechendes Wahlergebnis zu weitaus mehr als einem legislativen Erbe als der Verlängerung von Trumps Steuersenkungen führen würde. Die republikanischen Mehrheiten wären wahrscheinlich zu klein und die Kongressdelegationen zu zerstritten, um viel zu erreichen.

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Quelle: DWS Investment GmbH; Stand: 06.06.2024

 

Aus Marktperspektive könnte diese Denkweise dazu führen, dass ein Großteil des Rauschens rund um die US-Politik ausgeblendet werden kann, wahrscheinlich bis der Wahlkampf rund um den Labor Day 2024 Anfang September richtig losgeht. Bis dahin gibt es unserer Ansicht nach nur zwei Schlüsselfragen, die bei jeder Pressemeldung berücksichtigt werden sollten: Ist diese Nachricht geeignet, das politische Pendel weit genug von einer Patt-Situation nach links schwingen zu lassen, damit sich knappe Siege für die Demokraten auch im Senat widerspiegeln? Oder nach rechts, mit entsprechenden Folgen auch für den Kampf um das Repräsentantenhaus? Mit anderen Worten: Anleger sollten nicht nur das Kopf-an-Kopf-Rennen um das Weiße Haus verfolgen sondern stattdessen überlegen, ob eine der beiden Parteien so viel Wählerunterstützung gewinnen könnte, dass sie imstande wäre, auch die Gesetzgebung zu kontrollieren.

Für beide Parteien wird es wahrscheinlich schwierig, über unsere Pattszenarien hinaus zu punkten, allerdings aus etwas unterschiedlichen Gründen. Damit eine Partei die gesetzgeberische Agenda kontrollieren kann, bedarf es einer Kombination aus ausreichenden Mehrheiten und einem Parteizusammenhalt im nächsten Kongress.

Die Demokraten werden vor allem mit Ersterem zu kämpfen haben. So ist es leicht, sich eine politische Landschaft im November vorzustellen, in der Joe Biden oder jemand anderer für die Demokraten im Electoral College relativ problemlos siegt wird, die Partei im Repräsentantenhaus aber nur einen sehr knappen Sieg erringen und den Senat verlieren, aufgrund einer äußerst ungünstig erscheinenden Ausgangslage bei den diesmal zur Wahl stehenden Senatssitzen.[23]

Für die Republikaner ist es natürlich auch vorstellbar, dass Donald Trump das Weiße Haus gewinnt, jedoch ohne für Rückenwind weiter unten auf dem Wahlzettel zu sorgen. Damit wäre er eher eine Belastung für republikanische Kandidaten bei den Senats- und Repräsentantenhauswahlen, wodurch den Demokraten wiederum die Kontrolle über beide Kammern des Kongresses ausgehändigt werden könnte.[24] Ein derart gespaltenes Ergebnis würde den politischen Gestaltungsspielraum jeder neuen republikanischen Regierung stark einschränken, vielleicht sogar noch mehr als bei ähnlichen Pattsituationen unter Biden, da Trump über weniger Erfahrung darin verfügt, wirksame Deals mit politischen Gegnern abzuschließen.

Wenn wir stattdessen von kleinen Seriensiegen mit knappen Mehrheiten für die Partei des jeweiligen Präsidenten in beiden Kammern ausgehen, besteht immer noch eine grundlegende Asymmetrie zwischen den beiden Parteien. Die größte Überraschung nach der letzten Präsidentschaftswahl war, dass die Demokraten trotz sehr knapper Mehrheiten in den Jahren 2021 und 2022 – ob nun zum Guten oder zum Schlechten, was die politischen Inhalte betrifft – folgenschwere Gesetze verabschieden konnten.[25] Im Gegensatz dazu ist es ziemlich schwer geworden, vorherzusagen, welche politischen Prioritäten eine neue republikanische Regierung verfolgen möchte, was teilweise auf die sich ändernde Wahlkoalition der Partei zurückzuführen ist. Ihr Handlungsspielraum dürfte durch knappe Mehrheiten im Kongress sowie durch republikanische Zwistigkeiten stark eingeschränkt sein, und zwar in noch stärkerem Maße als dies von 2017 bis 2018 der Fall war. Bereits 2020 schrieben wir über ein solches Szenario – Trump kehrt ins Weiße Haus zurück und die Republikaner gewinnen in beiden Häusern des Kongresses – und sagten: „Für die Märkte könnte dies bedeuten, dass Steuersenkungen wieder auf der Tagesordnung stehen. Es könnte sein, dass die Deregulierung ungehindert fortgesetzt wird. Aber das gleiche gilt auch für mögliche weitere Außenhandelsspannungen.“[26]Seitdem sind Zölle und andere Handelsmaßnahmen zunehmend zu einem parteiübergreifenden Anliegen geworden, insbesondere in Bezug auf China. Angesichts der Tatsache, dass der Kongress gemäß der US-Verfassung die Befugnis hat, die Zollpolitik festzulegen, sollten die direkten Auswirkungen einer weiteren Amtszeit Trumps – selbst auf den Außenhandel – unserer Ansicht nach nicht überbewertet werden.

Diese relativ geringen Abweichungen von unseren Pattszenarien stehen wahrscheinlich im Gegensatz zu einigen der übertriebeneren Einschätzungen, die anderswo zu lesen sein werden. In einem solchen Umfeld scheint es durchaus wahrscheinlich, dass die Märkte gelegentlich in Angst und Schrecken geraten werden, wenn sie von einem sich abzeichnenden Trend oder einer Schlagzeile überrascht werden.[27] Alte Hasen an der Wall Street erkennen jedoch, dass es viel zu früh ist, um zu beurteilen, welche größeren politischen Veränderungen, wenn überhaupt, nach 2024 anstehen könnten. Tatsächlich könnte ein guter erster Ansatz – zumindest bis Anfang September 2024 –darin bestehen, sich nicht von politischen Schlagzeilen mitreißen zu lassen, auch nicht im Hinblick auf Auswirkungen auf bestimmte Sektoren.

3 / Zusammenfassung:

Kurz gesagt ist unsere Position also: wir erwarten nicht, dass dies die "wichtigste US-Wahl unseres Lebens" sein wird. Aber in den kommenden Monaten könnte es sich durchaus so anfühlen. Für Anleger könnte dies im Laufe der Zeit Chancen eröffnen, wenn die Märkte verunsichert sind und politische Risiken vorübergehend überbewerten. Solche Überreaktionen scheinen angesichts der Lebenserfahrungen der meisten Marktteilnehmer verständlich. In den letzten 30 bis 40 Jahren konnten die US-Wähler viele demokratische Normen als selbstverständlich hinnehmen, auch wenn viele davon in früheren Perioden der US-Geschichte umstritten waren.[28] Wie wir seit unserem CIO View Special 2016 wiederholt betont haben, haben die Gründerväter Amerikas gezielt versucht, zu vermeiden, dass eine einzelne Person oder Institution zu viel Macht erlangt, ein Prinzip, dass in den USA bis heute als „Checks and Balances“ bekannt ist.

Im Großen und Ganzen gilt dies heute genauso wie in den Jahren 2016 und 2020, insbesondere wenn man die aktuelle Situation in der US-Politik aus einer vergleichenden Perspektive betrachtet.[29] Selbst in viel jüngeren Demokratien: die Konsolidierung der Macht in einer offenen Gesellschaft ist nie einfach und geschieht selten an einem Tag, wie die Ereignisse in Tiflis, Georgien, in den letzten Monaten gezeigt haben.[30] Tatsächlich sind einige der Risiken, über die wir und andere im Jahr 2020 und in den darauffolgenden Monaten besorgt waren, aufgrund legislativer Maßnahmen inzwischen geringer geworden.[31]

Stattdessen ist es aufgrund der Amtszeitbeschränkung in den USA von vornherein sehr wahrscheinlich, dass einer der beiden Spitzenkandidaten irgendwann zur "lahmen Ente" wird. Drei plausible Szenarienblöcke für die Wahl und ihre Folgen – „Patt in Washington“, „Demokraten siegen überall knapp“, sowie „Republikaner siegen überall knapp“ - haben alle gemeinsam, dass der nächste US-Präsident wahrscheinlich weniger Einfluss auf die Politik haben wird als man in einem "normalen" Präsidentschaftswahljahr erwarten würde.

Mehr lesen

1. Das heißt, jedes Mal, wenn die Präsidentschaft auf dem Spiel steht, außer wenn ein weithin respektierter amtierender Präsident auf eine Wiederwahl zusteuert, wie Bill Clinton 1996 und Ronald Reagan 1984

2. U.S. elections 2020: Everything will be obvious, once you know the answers (dws.com)

3. Siehe hierzu auch unseren ersten Überblick über die politische Landschaft 2020, mit besonderem Schwerpunkt auf Spaltungen innerhalb der demokratischen Koalition: An early roadmap to U.S. politics in 2020 and beyond (dws.com)

4. Would Trump Move to Control the Fed? - The New York Times (nytimes.com), veröffentlicht am 26. April 2024

5. Siehe zum Beispiel, https://www.foxnews.com/politics/house-passes-ukraine-aid-bill-gop-rebels-threaten-oust-johnson, veröffentlicht am 20. April 2024; Johnson Needs Democrats on Ukraine, Handing Them Power to Shape Aid Plan - The New York Times (nytimes.com), 17. April 2024; Ukraine Aid Bill Clears Critical Hurdle in the House as Democrats Supply the Votes - The New York Times (nytimes.com) 19. April 2024; und The Economist, The House of Representatives gives Ukraine its best news in a year$61bn of aid is on the way. It should have an almost instant effect,, 20. April 2024, verfügbar unter: https://www.economist.com/united-states/2024/04/20/the-house-of-representatives-just-gave-ukraine-the-best-news-it-has-had-for-a-year

6. Um die frühere Spaltung zu veranschaulichen, aber auch, wie viel schärfer die Spaltungen unter den Republikanern heutzutage sind, lohnt es sich, Pat Buchanans Rede auf dem Parteitag von 1992 noch einmal zu lesen. Verfügbar unter: Buchanan, "Culture War Speech," Speech Text - Voices of Democracy (umd.edu)

7. Es lohnt sich vielleicht, daran zu erinnern, dass Richard Nixon 1968 nicht zuletzt deshalb gewählt wurde, weil er sich als Friedenskandidat positionierte. Einen interessanten Blick auf die Unterschiede zwischen diesem und jenem Wahljahr bietet: The campus is coming for Joe Biden (economist.com), veröffentlicht am 24. April 2024

8. Siehe zum Beispiel The Economist, „Beware a world without American power: Donald Trump’s threat to dump allies would risk a nuclear free-for-all“, 4. April 2024, verfügbar unter: https://www.economist.com/leaders/2024/04/04/beware-a-world-without-american-power; und The Economist, Losing their religion: The Republican Party no longer believes America is the essential nation - How the GOP went from isolationism to internationalism and back again, 26. Oktober 2023, verfügbar unter: l https://www.economist.com/united-states/2023/10/26/the-republican-party-no-longer-believes-america-is-the-essential-nation. Siehe auch: Opinion | Why MAGA Loves Russia and Hates Ukraine - The New York Times (nytimes.com), veröffentlicht am 24. April 2024 und NATO chief says Ukraine aid will increase, apologizes for falling short, on unannounced visit | Fox News, veröffentlicht am 29. April 2024

9. Joe Biden should drop out - Nate Silver, Juni 28, 2024.

10. Dies sollte nicht überbewertet werden. Wie erfahrene politische Kommentatoren wie der Gründer von FiveThirtyEight, Nate Silver, gerne betonen, ist so ziemlich jede US-Präsidentschaftswahl in gewisser Weise beispiellos, wenn auch normalerweise nicht in allzu bedeutender Weise. Der folgende Cartoon aus dem Jahr 2012 macht dies ganz gut deutlich: xkcd: Electoral Precedent, veröffentlicht 2012

11. Zu unabhängigen und Drittparteikandidaten und den Herausforderungen, denen sie wahrscheinlich allein in Bezug auf den Zugang zum Wahlzettel gegenüberstehen werden, siehe zum Beispiel: Will RFK Jr. and third-party contenders even make the ballot in November? - ABC News (go.com), veröffentlicht am 21. März 2024

12. Besonders hervorzuheben ist der starke zweite Platz von Theodore Roosevelt 1912 als Kandidat seiner neu gegründeten Progressive (oder „Bull Moose“) Party, bei dem er seinen handverlesenen republikanischen Nachfolger William Taft besiegte, obwohl beide gegen Woodrow Wilson verloren. Und Grover Cleveland, der 1892 eine zweite nicht aufeinanderfolgende Amtszeit gewann, nachdem er 1888 von Benjamin Harrison bei der Wiederwahl besiegt worden war. Siehe: Few former presidents have run again after leaving office | Pew Research Center, 16. November 2022. Seit George Washington hatte niemand ernsthaft über eine dritte Amtszeit nachgedacht. Bis zur Ratifizierung des 22. Zusatzartikels zur US-Verfassung im Jahr 1951 war die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für Präsidenten jedoch eine Tradition und keine ungeschriebene Regel (gebrochen durch Franklin D. Roosevelts Serie von vier aufeinanderfolgenden Wahlsiegen zwischen 1932 und 1944). Der 22. Zusatzartikel legt außerdem fest, dass jemand, der länger als zwei Jahre als Präsident amtiert hat (z. B. ein Vizepräsident, der im Todesfall des Präsidenten einspringt), nur noch ein weiteres Mal kandidieren kann.

13. Siehe beispielsweise Potter, P. (2016) „Lame-Duck Foreign Policy“, Presidential Studies Quarterly, Vol. 46, Ausgabe 4, S. 849–867, verfügbar unter: Lame‐Duck Foreign Policy - Potter - 2016 - Presidential Studies Quarterly - Wiley Online Library

14. Lame Duck: What It Means and how It Works (investopedia.com)

15. Wie ein vergleichender Politikwissenschaftler es ausdrückt, können sich solche Erwartungen „can change almost overnight the moment the elite’s expectations that underpin it change in a coordinated fashion. (…) this can undermine the president’s capacity to shape elite’s expectations (…) even before the president actually leaves office. Elites anticipating the change begin thinking about a future without the old president. (…)  The value of presidential promises and the gravity of her threats start to dissipate. The president can become a “lame-duck” (…) This sort of lame-duck syndrome can generate tremendous centrifugal pressures within the dominant patronal network in advance of the anticipated moment of succession, pressures undermining presidential control and fraught with revolutionary potential.“ Aus: Hale, H. (2015) Patronal Politics: Eurasian Regime Dynamics in Comparative Perspective. (Problems of International Politics.) New York: Cambridge University Press. S. 84

16. Siehe zum Beispiel, Donald Trump: Favorability Polls | FiveThirtyEight and Joe Biden: Approval Polls | FiveThirtyEight. Das Gleiche gilt für Kommentatoren und Wähler bei Vorwahlen, insbesondere auf Seiten der Republikaner. Siehe zum Beispiel: 160 million Americans are eligible to be president. How did we end up with these two dudes again? (natesilver.net), veröffentlicht am 6. November 2023 What to Make of the ‘Zombie Vote’ Against Donald Trump - The New York Times (nytimes.com), veröffentlicht am 24. April 2024; und  A threat to democracy no one is talking about - Roll Call, veröffentlicht am 7. Februar 2024

17. In der Zwischenzeit ist vieles von dem, was wir 2020 geschrieben haben, immer noch relevant: An early roadmap to U.S. politics in 2020 and beyond (dws.com);

18. Eine praktische Übersicht über die neuesten Umfragen und sehr einfach erstellte Umfragedurchschnitte finden Sie unter: Latest Polls 2024 | RealClearPolling

19. Die Unbeliebtheit der Spitzenreiter in Kombination mit der Möglichkeit von Drittparteien macht Prognosen besonders schwierig, und einige unserer üblichen Quellen scheinen damit zu kämpfen. So scheint es beispielsweise, dass 538, das jetzt unter neuer Leitung steht, neben anderen methodischen Änderungen an seinen Umfragedurchschnitten beschlossen hat, zunächst eine Annahme einzuführen, dass die Stimmenanteile von Biden und Trump umgekehrt korreliert sind. Es ist die Art von Änderung, über deren allgemeine Vorzüge Wahlfachleute endlos diskutieren könnten, aber für 2024 erscheint sie sicherlich merkwürdig. Weitere Einzelheiten finden Sie unter: Trump leads in swing-state polls and is tied with Biden nationally - ABC News (go.com), veröffentlicht am 25. April 2024

20. Generic ballot : 2024 Polls | FiveThirtyEight; siehe auch: Tales of the unexpected (dws.com), veröffentlicht am 16. Feb. 2024

21.   Hintergrundinformationen zu solchen Szenarien und warum die US-Wahlregeln so bleiben, wie sie sind, finden Sie unter:  Republicans Retain Edge in Electoral College Tie - Sabato's Crystal Ball (centerforpolitics.org); Contingent Election of the President and Vice President by Congress: Perspectives and Contemporary Analysis, veröffentlicht am 6. Okt. 2020 und It's really hard to change Electoral College rules - ABC News (go.com), veröffentlicht am 17. April 2024.

22. Wir freuen uns dennoch auf verschiedene umfragebasierte Prognosemodelle und waren begeistert über die folgende Ankündigung: Announcing 2024 election model plans - by Nate Silver, veröffenlicht am 17. April 2024.

23. Siehe beispielsweise, Are The Democrats Screwed In The Senate After 2024? | FiveThirtyEight, veröffentlicht am 8. Dez. 2022

24. Beispielsweise besteht die Gefahr, dass anhaltende Streitigkeiten über die Wahlen 2020 die Wahlbeteiligung der Republikaner unter Wählern mit geringer Neigung drücken. Dies ist mehr oder weniger das, was nach den Wahlen 2020 bei den Stichwahlen in Georgia passierte, was uns und viele andere Kommentatoren etwas überraschte. Siehe beispielsweise, Georgia’s Runoffs Will Determine Control Of The Senate. Here’s What We Know So Far. | FiveThirtyEight, veröffentlicht am 11. November 2020

25. Siehe beispielsweise, The lesson of Biden’s transformational first term (ft.com), veröffentlicht am 30. April 2024

26. An early roadmap to U.S. politics in 2020 and beyond (dws.com)

27. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Trump and the Risk of a US Debt Default by William L. Silber - Project Syndicate (project-syndicate.org), veröffentlicht am 23. April 2024

28. Siehe beispielsweise, Suri, J. (2022), „Civil War by Other Means: America’s Long and Unfinished Fight for Democracy“, PublicAffairs

29. Siehe beispielsweise, Trump Can’t Be Dictator on ‘Day One’ — Or in a Second Term. Here’s Why. - POLITICO, veröffentlicht am 28. Januar 2024

30. Georgia cracks down on pro-EU protesters in Russia pivot (ft.com) , veröffentlicht am 1. Mai 2024

31. Siehe insbesondere, House Passes Overhaul of Electoral Count, Moving to Avert Another Jan. 6 Crisis - The New York Times (nytimes.com), veröffentlicht am 21. September 2022 und Congress acted to protect NATO. But it might not be enough to stop Trump | CNN Politics, veröffentlicht am 13. Februar 2024

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