28. Mai 2024 CIO Special

Deutschland – vom Charme geringer Erwartungen

Die Wirtschaft von Europas Schlusslicht könnte dieses Jahr zum Rest aufschließen und deutsche Aktien beflügeln

Björn Jesch

Björn Jesch

Global Chief Investment Officer
  • Nachdem wir Europäische Aktien als Ganzes schon länger übergewichtet hatten, könnte Deutschland der nächste Kandidat für eine Hochstufung sein.
  • Die deutsche Wirtschaft hatte und hat immer noch mit vielen Herausforderungen zu kämpfen, die sie in Summe aber erstaunlich gut bewältigt (hat).
  • Einige Frühindikatoren zeigen nun aufwärts, das Wachstumstief sollte hinter uns liegen. Zusammen mit dem erwarteten Rückenwind Europäischen Zentralbank(EZB) sollte das auch die deutschen Aktien stützen. Das sollte sich vor allem in einem schrumpfenden Bewertungsabstand zu US-Aktien zeigen.

Kann man Deutschlands Wirtschaft wirklich wieder mögen? Im August 2023 fragte der britische Economist,[1]ob Deutschland wieder der kranke Mann Europas sei. Die Deutschen selbst strahlen auch wenig Optimismus aus. Kein Wunder, angesichts der Länge der Verspätungsanzeigen an deutschen Bahnhöfen. Oder angesichts der Anzahl der Geschichten zum wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands in den heimischen Tageszeitungen. Zudem lässt auch das starke Abschneiden radikaler Parteien in Umfragen auf eine hohe Unzufriedenheit schließen. Das Ausland schließt sich dem Klagen gern an, nicht zuletzt zeigt sich die Malaise ja schwarz auf weiß in den Wachstumszahlen. Mit einem geschätzten BIP-Wachstum von 0,2 Prozent für 2024 bildet Deutschland das Schlusslicht unter den entwickelten Ländern, denen man im Schnitt 1,7 Prozent zutraut.[2] Wer sich dieser pessimistischen Sicht nicht anschließen will, sind die Kapitalmärkte. In der Eurozone zahlt kein anderes Land niedrigere Zinsen auf seine Anleihen als der Bund. Und zwei Monate nach Erscheinen des Economist-Titels drehte der Dax und überflügelte bis zum 14. Mai dieses Jahres mit einer Gesamtrendite von 27 Prozent sogar seine europäischen Nachbarn leicht (der Stoxx 600 brachte es auf 24 Prozent).  

Der Dax und die ifo-Geschäftserwartungen

Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024 

Die Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch ist einfach: Aktionäre gleichen Daten mit ihren Erwartungen ab und schauen auf Veränderungen und Wendepunkte. Im vierten Quartal schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im ersten Quartal dieses Jahres wiederum wuchs die Wirtschaft mit 0,2 Prozent stärker als erwartet und die Frühindikatoren (siehe etwa den ifo Index  im oberen Chart) deuten auf eine Dynamisierung des Aufschwungs hin, nicht zuletzt wegen anziehender Exporte. Diese Entwicklung ist gut für die Stimmung, auch unter den Investoren. Zumal diese wissen, dass das Schicksal deutscher Firmen, insbesondere der börsennotierten, weniger am In- als am Ausland hängt.

Der wesentliche Grund, warum wir deutsche Aktien zunehmend interessant finden, ist die relative Bewertung. Im Vergleich zur Über-Benchmark S&P 500 handelt der Dax mit einem Rekordabschlag. Und das, obwohl es unseres Erachtens um das deutsch-europäische Momentum bei den Themen Zentralbankpolitik, Gewinndynamik, Erwartungshaltung, Wahlunsicherheit und Staatsverschuldung besser bestellt ist als in den USA. Und vergessen wir nicht die Fußball-EM in Deutschland im Sommer. Die Weltmeisterschaft im Jahre 2006 konnte zu einem deutlichen Image-Gewinn Deutschlands im Ausland beitragen. Allerdings fuhren damals auch noch mehr Züge pünktlich.


1     / Wirtschaft: schwach, aber Schwäche schwächt ab

Vom Dauerkrisenmodus zur Normalisierung

Deutschland besonders von den Krisen betroffen

Die von Covid und dem Ukrainekrieg hervorgerufenen Lieferengpässe und Energieknappheiten, Migrationsströme und der globale Abschwung des Verarbeitenden Gewerbes haben Deutschland als überdurchschnittlich offene und im Welthandel stark integrierte Volkswirtschaft jeweils besonders stark getroffen. Oder müsste man sagen: hätte Deutschland nach Meinung vieler stark treffen müssen? Denn eigentlich haben Deutschland und Europa die zahlreichen Krisen mit erstaunlicher Resilienz (und mithilfe deutlich weniger Neuverschuldung als die USA) weggesteckt. Noch im Sommer 2022 kursierten Prognosen, wonach Deutschlands Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2022 um über neun Prozent schrumpfen würde, sollten die russischen Gaslieferungen ausbleiben. Am Ende betrug der Rückgang nur 0,3 Prozent. Dies sollte man beim Anblick der relativ geringen Wachstumsraten Deutschlands im Hinterkopf behalten. In den Augen vieler Marktteilnehmer und Unternehmer leidet Deutschland derzeit noch unter einer weiteren Krise - der Ampelkoalition. Unabhängig davon, ob man diese Meinung teilt, hat sie Auswirkung auf die Stimmung der Wirtschaft. Doch nach zwei Regierungsjahren könnte auch hier die Talsohle erreicht sein, da die Wirtschaft  mittlerweile immerhin weiß, woran sie ist, auch wenn sie weiterhin unter den wachsenden Regulierungsanforderungen leidet.


Langfristige Schwächen sind nicht zu leugnen…

Bevor wir uns den Rahmendaten Deutschlands widmen, die sich unseres Erachtens gerade zum Besseren wenden, wollen wir nur kurz jene strukturellen Probleme zumindest aufzählen, mit denen das Land aus unserer Sicht noch länger zu kämpfen haben wird: eine alternde Bevölkerung; jahrzehntlange Unterinvestition in Infrastruktur und Bildung; weiter zunehmende Bürokratisierung sowie insgesamt ein hohes Kostenniveau nicht zuletzt aufgrund hoher Energiepreise. Dazu gesellt sich eine kontinuierliche Reduzierung der Anreize, eine Beschäftigung aufzunehmen oder die Arbeitszeiten zu erhöhen. Letzteres ließe sich zwar mit relativ geringem politischen Aufwand ändern, doch gehen wir nicht davon aus, dass sich bei Arbeitslosenquoten wie den aktuellen 5,9 Prozent angebotsseitige Reformen wie zuletzt 2003-2005 (Arbeitslosenquote von über zehn Prozent) initiieren lassen. So lange dürfte dann aber auch das deutsche Potentialwachstum homöopathisch bleiben. Dr. Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa der DWS, beklagt: „In Deutschland fehlen politische Antworten auf die Frage, wie die Arbeitszeit im Laufe des gesamten Lebens erhöht werden kann. Das lässt die Alterung der Gesellschaft zu einem manifesten Problem werden.“


…aber kurzfristige Betrachtung zeigt Aufwärtstrends

Mit Veröffentlichung der BIP-Zahlen zum ersten Quartal wurde die wirtschaftliche Wende Deutschlands quasi amtlich. Nicht nur wuchs die Wirtschaft mit 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal besser als erwartet; darüber hinaus wurden die Zahlen für die ersten drei Quartale des Vorjahres nach oben korrigiert, so dass nach den aktuellen Schätzungen die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr nicht geschrumpft ist, sondern lediglich stagniert, was auch unserer anfänglichen Prognose entsprach. Für 2024 liegen unsere Schätzungen ebenfalls über jenen des Konsens. Für das Gesamtjahr sehen wir ein durchschnittliches Wachstum von 0,4 Prozent und der Konsens von 0,1 Prozent (für 4Q24 sehen wir 1,3 und der Konsens 0,6 Prozent Wachstum zum Vorjahr).[3] Bereits eine Woche vor den Quartalszahlen wurden die neuesten Ifo-Zahlen veröffentlicht, die ebenfalls ein positives Bild zeichneten. Dabei erstaunte weniger der dritte Anstieg der Geschäftsaussichten in Folge, sondern die Höhe des Anstiegs. Die fast zeitgleich publizierten Einkaufsmanagerindizes (HCOB PMI) bliesen ins gleiche Horn, der Composite schaffte es im April erstmals seit Juni 2023 wieder über die Expansionsschwelle von 50 Punkten.[4] Die (vorläufigen) Daten für Mai bestätigen den positiven Trend: sowohl die Zahlen für das Verarbeitende Gewerbe sowie für Dienstleistungen lagen über den Erwartungen, so dass der Composite PMI jetzt sogar den Sprung von 50,6 auf 52,2 Punkte schaffte.[5] 

Für die Kapitalmärkte ist nicht nur die absolute Zahl wichtig, sondern auch, ob damit die Erwartungen unter- oder übertroffen werden.[6] Dies bildet der Citi Economic Surprise Index ganz gut ab, der für Europa seit bald einem Jahr nach oben zeigt.[4] Und nicht zuletzt berappelt sich auch der deutsche Konsument langsam und wird unseres Erachtens zunehmend zum Wachstum beitragen. Die Löhne wachsen kräftig, selbst die Beschäftigung nimmt derzeit noch zu und die Inflationsrate ist rückläufig, so dass die Konsumenten netto und real deutlich mehr Geld in der Tasche haben. Noch ist die Konsumlaune zwar nur schwach ausgeprägt, aber die jüngste GfK-Umfrage[4] zeigt, dass sich die Konsumenten ihrer stärkeren Kaufkraft (Einkommenserwartung) zumindest langsam bewusst werden. Martin Moryson hofft, dass „die Konjunktur sich in den nächsten Monaten ganz freundlich entwickelt, selbst wenn die strukturellen Probleme (vorerst) ungelöst bleiben."


Reales BIP-Wachstum im Vergleich zum Vorquartal

Quellen: Bloomberg Finance L.P.; Destatis; DWS Investment GmbH; Stand: 13.05.2024


Das Schöne an niedrigen Erwartungen ist, dass sie schnell übertroffen werden können. Die USA erleben derzeit das Gegenteil, zumindest wenn man auf den Citi Surprise Index schaut. Der ist bereits seit August 2023 rückläufig, doch der Rückgang beschleunigte sich rapide seit April dieses Jahres.[4] Ein weiterer Vergleich zu den USA lohnt noch: Das oft umjubelte dortige Wirtschaftswachstum ging mit einer deutlichen Ausweitung der Staatsverschuldung einher, während Deutschland, vielleicht nicht ausschließlich zum eigenen Vorteil, die Verschuldung gering hielt. Gemessen am BIP weitete sich die deutsche Verschuldung von 2019 bis 2023 nur von 59,6 auf 63,3 Prozent aus, während sie in den USA von 79 auf 97,2 Prozent stieg.[7] Die anvisierten Haushaltsdefizite der USA für die kommenden Jahre lassen auf eine Ausweitung der Differenz schließen.



2 / Deutsche Aktien sind relativ günstig  

Aktienanlegern stellt sich natürlich die Frage, ob sie sich überhaupt intensiver mit der deutschen Wirtschaft auseinandersetzen müssen, wenn doch die 40 Dax-Werte im Schnitt über 80 Prozent ihrer Umsätze im Ausland erzielen. Dem würden wir entgegnen, dass dies sicherlich die Abhängigkeit vom Heimatmarkt schwächt aber keinesfalls aufhebt. Man denke an Produktionsstandorte, Regulierung oder Steuern. Zudem denken wir, dass sich die Anlegerstimmung auch an der Lage im Land und der Außendarstellung orientieren kann. „Der Dax ist immer noch ein überdurchschnittlich zyklischer Index, deshalb sollte er von einer sich verbessernden europäischen Wirtschaft profitieren. Wir glauben auch, dass viele seiner Mitglieder sich in den letzten Jahren strukturell verbessert haben. Der Bewertungsabschlag zu US-Aktien scheint meiner Meinung nach stark übertrieben“, sagt Marcus Poppe, Co-Leiter Europäische Aktien der DWS.


2.1 Relative Kursschwäche nicht allein mit unterschiedlicher Gewinnentwicklung zu erklären

Selbst mit den US-Substanzwerten kann der Dax nicht mithalten

Das Maß aller Dinge bei Aktien bleibt der US-Markt. In der jüngsten Vergangenheit hat er seine Fortüne allerdings im Wesentlichen einer Handvoll großer Technologiekonzerne zu verdanken, die gerne als die „Magnificent 7“ bezeichnet werden, selbst wenn wir diese Gruppe strukturell eher auf fünf dominante Firmen beschränken würden. Auch dieses Jahr dominieren diese Wachstumsfirmen wieder die Quartalsberichtssaison und sorgen fast im Alleingang für das Gewinnwachstum des immerhin 500 Firmen umfassenden S&P 500. Um dieser Zweiteilung des US-Markts gerecht zu werden, betrachten wir das Wachstums- getrennt vom Substanzsegment. Wie die erste Grafik zeigt, hat der Dax gegenüber den US-Substanzwerten seit 2006 rund 20 Prozent schlechter abgeschnitten. Gegenüber den Wachstumswerten jedoch hat er 60 Prozent eingebüßt. Über die vergangenen zwei Jahre hat er hingegen mit beiden Segmenten mithalten können, da die Zinswende den Wachstumswerten schwerer zusetzte.


Dax-Kursentwicklung und -Bewertung im Vergleich zu den S&P-500-Substanz- und Wachstumstiteln

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* Alle Indizes: Gesamtrendite inkl. Bruttodividende
** basierend auf dem KGV der kommenden 12 Monate, gleitender 3-Monatsschnitt
*** indexiert: 31.05.2026 = 100

Quellen: LSEG Data and Analytics, Bloomberg Finance L.P., DWS Investement GmbH; Stand: 13.05.2024

 


Deutlicher wird die Diskrepanz jedoch bei der Bewertung. Wie wiederum die obere Grafik zeigt, hat der Dax viele Jahre mit nur geringem Abschlag zu den Substanzwerten des S&P 500 gehandelt, während das Wachstumssegment seit rund zehn Jahren eine immer höhere Bewertungsprämie aufgebaut hat. Nach der Verdauung des Zinsschocks hat sich diese wieder ausgeweitet, doch darüber hinaus handeln jetzt auch die US-Substanzwerte mit einer Prämie von mittlerweile 25 Prozent zum Dax.[8] Dies, so glauben wir, wird nicht nachhaltig sein. Nicht zuletzt, da der Dax natürlich nicht nur aus Substanzwerten besteht, sondern auch über einige Wachstumstitel verfügt, wenn auch in deutlich geringerem Umfang als der S&P 500. Zum anderen denken wir, dass bei den deutschen Gewinnmargen deutlich mehr Verbesserungspotential schlummert als bei den ohnehin sehr gut verdienenden US-Firmen. Wie die untere Grafik zeigt, hat der Dax allein über die vergangenen vier Jahre einen ziemlichen Rückstand gegenüber seinen europäischen und US-amerikanischen Konkurrenten aufgebaut.


Dax notiert auf dem Schnitt der historischen Bewertung – allerdings ändert der Index seinen Charakter

Mit einem KGV von 13[9]notiert der Dax derzeit genau auf dem KGV-Mittelwert der vergangenen 20 Jahre. Daraus könnte man schlussfolgern, dass sich das Kurspotential des Index in erster Linie aus einem dynamisch wachsenden Gewinnwachstum ergibt. Doch sollte man darüber hinaus auch nicht vergessen, dass sich die Zusammensetzung des Dax kontinuierlich verändert. Zwar gehört er immer noch zu den zyklischsten Aktienindizes der Welt, mit einem hohen Gewicht an industriellen Werten. Allein der Automobilsektor trägt im Schnitt rund ein Viertel zum Gewinn des Index bei. Die Schwankungsanfälligkeit dieses Sektors zeigte sich auch dieses Jahr erneut: fast drei Monate schnitt er deutlich besser als der Gesamtindex ab, bevorer seit Mitte April eine heftige Kehrtwende vollzog.[10]

Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Industriewerte samt Autos zwar noch ein Drittel der Marktkapitalisierung ausmachen, und Finanzwerte ein weiteres Fünftel, aber gleichzeitig Technologie, Kommunikations-dienstleistungen, Gesundheit und nicht-zyklischer Konsum für ein Drittel des Index stehen. Zudem haben aber auch die Industriewerte heute solidere Bilanzen als vor 20 Jahren, was für höhere Bewertungsmultiplikatoren sprechen könnte.  


2.1 Quartalsergebnisse und Ausblick

Das erste Quartal war bei den Unternehmensgewinnen im Vergleich zum Vorjahr noch negativ, auf sequenzieller Basis stiegen die (bereinigten) Gewinne des Dax jedoch im niedrigen einstelligen Bereich.[11] Für das zweite Quartal rechnen wir auch wieder mit einem Gewinnwachstum gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Quartal übertrafen einige Unternehmen die Gewinnschätzungen und/oder erhöhten ihre Gewinnprognosen. Wir gehen außerdem davon aus, dass sich der Abstand zu den USA im Jahresverlauf wieder verringern sollte – während die Gewinnschätzungen für das Gesamtjahr 2024 für die USA in der Berichtssaison zum ersten Quartal nach oben korrigiert wurden, sanken sie für den Dax weiter. Wir erwarten für den Dax ein Gewinnwachstum in Höhe von vier bis acht Prozent für das Gesamtjahr.


Die Gewinne der börsennotierten deutschen Unternehmen hinken der Konkurrenz hinterher

 * Gewinn je Aktie der vergangenen 12 Monate
** indexiert: 15.05.2014 = 100

Quellen: LSEG Data and Analytics; Stand: 16.05.2024


Wieder lohnt der Vergleich mit den USA. Hier wurden die Ergebnisschätzungen über die vergangenen Monate deutlich nach oben geschraubt. Der Konsens rechnet jetzt mit zehn Prozent Wachstum in den USA und einem Rückgang von zwei Prozent für Europa. Auf Basis dieser Messlatten, die sich mit den ebenfalls deutlich höheren BIP-Wachstumsprognosen für die USA decken, sehen wir tendenziell eher negatives Überraschungspotenzial in den USA und positives in Europa und Deutschland. Für letztere beiden liegen wir unter anderem aus folgenden drei Gründen über dem Konsens: 1. Ein vorteilhafter Basiseffekt, da im vergangenen Jahr die drei Schlussquartale kein oder negatives Wachstum aufwiesen. 2. Unser positiverer Ausblick auf das Wachstum in China und Europa als der Konsens, letztere basierend auf sich verbessernden Früh- und Stimmungsindikatoren und 3. Die vermutlich früher erfolgende Zinssenkung der EZB. Darüber hinaus nehmen wir auch aus den Gesprächen mit den Vorständen deutscher Unternehmen wahr, dass die Stimmung zwar immer noch nicht rosig ist, sich aber stabilisiert oder leicht verbessert.


3 / Anleihen stabil, Immobilien am Wendepunkt 

3.1 Inflation, Zentralbankpolitik und Anleiheausblick

Der Zinspfad der EZB scheint sicherer als jener der Fed

Manche Marktteilnehmer schienen es bis vor kurzem noch für eine Art Naturgesetz zu halten, dass die EZB niemals vor der Fed Zinsschritte, oder gar eine Zinswende vollziehen könnte. Mittlerweile traut der Marktkonsens ihr das aber zu. So zeigen die Derivatemärkte, dass man der EZB dieses Jahr fast drei Zinssenkungen, beginnend ab Juni, und der Fed noch nicht einmal zwei Schritte, beginnend im September oder November,[12] zutraut. Wir schließen uns dieser Meinung an. Ob diese Meinung jedoch bereits in alle Bereiche der Finanzmärkte durchgedrungen ist, ist schwer zu sagen. Aufgrund der selbstproklamierten Datenabhängigkeit der Zentralbanken tappen Anleger und Zentralbanken praktisch parallel im Ungewissen, wie es mit dem Zinspfad weitergehen könnte. Daran dürfte sich auch in den kommenden zwölf Monaten nichts ändern, insbesondere, da wir weiter mit Schwankungen beim Inflationspfad rechnen – vor allem auf die Lohnentwicklung achten wir. Bis Jahresende rechnen wir im Grundszenario mit einer Inflationsrate von 2,6 Prozent für die Eurozone.


Deutsche Staatsanleihen wieder einen Blick wert

Auf Basis unserer Inflations- und EZB-Zinsprognosen gehen wir davon aus, dass bis Ende März 2025 die Renditen von 2-jährigen Bundesanleihen auf 2,5 Prozent und die der 10-Jährigen auf 2,6 Prozent fallen. Entsprechend positionieren wir uns eher am kürzeren Ende der Zinskurve bis hin zum 5-jährigen Bereich.


Unternehmensanleihen bieten nur noch geringe Prämie

Europas Unternehmensanleihen haben einigen Herausforderungen der jüngsten Zeit gut Stand gehalten – die EZB fiel als Käufer weg; 2022 und 2023 waren durch extreme Zinsanstiege geprägt; geopolitische Krisen trieben die idiosynkratischen Risiken hoch. Wir halten sie auch aufgrund ihrer hohen Anfangsrenditen längerfristig immer noch für attraktiv. Aus kurzfristiger Sicht sind wir im Investment-Grade (IG)-Segment, mehr aber noch im Hochzinssegment aufgrund der sehr geringen Risikoaufschläge (Prämien) gegenüber Bundesanleihen jedoch etwas vorsichtiger geworden. Unseres Erachtens wird hier mittlerweile ein Idealszenario eingepreist, was schon bei kleineren Enttäuschungen zu hohen Kursrückschlägen führen kann.

Verlockende absolute Rendite von Unternehmensanleihen (IG), relative Bewertung jedoch nicht mehr günstig

*ICE BofA Euro Corporate Index

Quelle: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 17.05.2024


3.2 Immobilien

Hohe Hürden für die Angebotsseite begrenzen das Abwärtspotential – Bodenbildung dürfte bald abgeschlossen sein

Wir gehen davon aus, dass im deutschen Immobilienmarkt je nach Segment die größten Preiskorrekturen entweder schon hinter uns oder unmittelbar vor uns liegen dürften. Unsere beiden bevorzugten Segmente bleiben Wohnen und Logistik. Ersteres leidet besonders unter einem (kosten- und regulierungsseitig) eingeschränkten Angebot bei nahezu gleichbleibender Nachfrage. Wir mögen insbesondere funktionale Wohnimmobilien wie höherwertige Studenten- oder Seniorenheime.

 Der Markt für Logistikimmobilienanbieter entspannt sich von beiden Seiten. Das bundesweite Angebot in der Branche schwächt sich zwar ab, und auch die Nachfrage durchlebt eine Schwächephase. Die langfristigen Markttrends und Fundamentaldaten bleiben jedoch gesund und zeigen sich etwa in einer sehr niedrigen Leerstandsquote von knapp über zwei Prozent. Für die Zukunft rechnen wir mit einem erhöhten, besonders starken Mietwachstum für urbane Logistik. In Verbindung mit den vorigen Preiskorrekturen ergibt das eine interessante Mischung.

Der Büromarkt bleibt eine Herausforderung, jedoch weniger im hochpreisigen Segment. Hier treffen die erfolgten, teils erheblichen Preiskorrekturen auf, wie wir glauben, strukturell starke Nachfrage in Schlüsselmärkten wie Berlin oder München. Ein kurzfristig schwaches Angebot und erhöhte Baukosten stützen diesen Trend. Ältere Bestände hingegen bieten Potenzial für Umwandlungen, beispielsweise in Wohnnutzungen. Insgesamt erwarten wir, dass 2024 ein außergewöhnlich gutes Jahr zum Einstieg sein sollte.

4 / Zusammenfassung 

Deutsche Aktien laufen bereits seit einigen Monaten wieder recht gut, was in gewissem Gegensatz zur eher negativen Stimmung im Lande steht. Allerdings drehen einige wirtschaftliche Indikatoren ins Positive und wir gehen von einer zunehmenden Dynamik beim Wirtschaftswachstum aus. Hier sehen wir insbesondere einen Unterschied zu den USA, weshalb wir davon ausgehen, dass sich deutsche Aktien in den kommenden Monaten relativ zu den USA besser entwickeln werden und sich dadurch der rekordhohe Bewertungsabstand, der die Aktienmärkte beider Länder aktuell auszeichnet, verringern wird. 

Mehr lesen

1. The Economist, “Is Germany once again the sick man of Europe?” vom 17.08.2023; https://www.economist.com/leaders/2023/08/17/is-germany-once-again-the-sick-man-of-europe?

2. Konsensschätzungen; Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024

3. Laut Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024

4. Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 18.05.2024

5. Quelle: Bloomberg Finance L.P. ; Stand : 23.05.2024

6. Zuletzt war allerdings die Korrelation des CESI zu Anleiherenditen deutlich höher als zum Aktienmarkt.

7. Deutsche Zahlen von der Bundesbank, US-Zahlen vom Weißen Haus, beides entnommen von Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024

8. Basierend auf den Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate. Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024

9. Deutsche Zahlen von der Bundesbank, US-Zahlen vom Weißen Haus, beides entnommen von Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024.

10. Quelle: Bloomberg Finance L.P.; Stand: 14.05.2024

11. Siehe auch Deutsche Bank Research, “Made in Germany – DAX Q1 Earnings Special”; Stand 17.05.2024.

12. Quelle: Bloomberg Finance L.P. ; Stand : 14.05.2024

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