- Der Schwerpunkt des Parteikongresses liegt auf der personellen Umbesetzung, nicht auf konkreten Maßnahmen
- Wichtige politische Veränderungen dürften erst in den Monaten nach dem Kongress sichtbar werden
- Die Neubesetzung der Schlüsselpositionen könnte die künftige politische Ausrichtung, aber auch die interne politische Machtposition von Xi Jinping widerspiegeln.
- Die Beziehungen zwischen den USA und China dürften sich allerdings in absehbarer Zeit nicht verbessern und bleiben eine Quelle der Volatilität.
Die Erwartungen an den zweimal im Jahrzehnt stattfindenden Parteikongress, der am 16. Oktober beginnt, sind groß. Wir konzentrieren uns auf die direkten und indirekten Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Aussichten und die Interessen der Investoren. Sowohl einheimische als auch internationale Unternehmen und Investoren hoffen auf eine Rückkehr zur Stabilität, mehr Transparenz und Pragmatismus in der künftigen Covid-Politik, sowie auf mehr Unterstützung für den wichtigen Immobiliensektor und die Stützung des Konsums. Präsident Xi, der sich höchstwahrscheinlich eine bisher einmalige dritte Amtszeit sichern wird, hat sich im Vorfeld der Veranstaltung bedeckt gehalten. Er forderte die Mitglieder der Kommunistischen Partei aber auf, sich auf große Herausforderungen vorzubereiten.
1 / Was steht auf der Tagesordnung des KPC-Parteitags?
1.1. Es geht um Personen, nicht um politische Maßnahmen
Die beiden wichtigsten Punkte, die es zu beachten gilt, sind die Umbildung der Führungsriege und der politische Bericht von Generalsekretär Xi Jinping. Unmittelbar nach dem Parteitag, auf der ersten Plenarsitzung am 23. Oktober, wird ein neues Führungsteam, einschließlich des Politbüros und des Ständigen Ausschusses, gewählt. Der Parteitag könnte auch Anhaltspunkte für das neue Wirtschaftsteam, einschließlich des Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, liefern.
Es wird erwartet, dass der vom Generalsekretär der KPC, Xi Jinping, vorgetragene politische Bericht die vergangenen Errungenschaften erläutert und die gegenwärtige nationale und internationale Lage erklärt. Er dürfte die Situation der chinesischen Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren und bis 2035 beleuchten und wichtige Leitlinien für die künftige Politik Chinas, die wirtschaftliche Entwicklung und Prioritäten sowie viele andere für Investoren wichtige Themen enthalten. Der politische Teil wird sich wahrscheinlich auf Chinas Weg zum Aufbau eines modernen sozialistischen Landes bis etwa 2050 konzentrieren, wenn die Volksrepublik China ihren 100. Geburtstag feiert.
Es wird erwartet, dass sich die politischen Unsicherheiten nach dem Parteitag verringern, da sich der Schwerpunkt von der Politik auf die dringenden wirtschaftlichen Herausforderungen verlagern könnte.
Während die strategischen Ziele unverändert bleiben könnten, liegt der Schwerpunkt auf der Umsetzung der Politik. Was die Covid-Politik betrifft, erwarten wir kurzfristig keine graduelle Flexibilisierung und pragmatischere politische Haltung. Jedoch hegen wir die Hoffnung, dass das neue Wirtschaftsteam die dringenden Probleme im Wohnungssektor mit mehr und direkten Unterstützungsmaßnahmen angehen wird.
Auf dem Parteikongress (und dem ersten Plenum unmittelbar danach) werden das neue Politbüro und sein Ständiger Ausschuss gewählt, eine Gruppe der ranghöchsten Führungskräfte in China, die für die nächsten fünf Jahre im Amt sein werden. Es ist so gut wie sicher, dass der chinesische Präsident Xi Jinping auf dem Parteitag eine dritte Amtszeit antreten wird. Im Jahr 2018 wurde die zeitliche Begrenzung seiner Amtszeit abgeschafft, was de facto unbegrenzte politische Amtszeiten ermöglicht. Xi Jinping hat derzeit drei Titel inne: Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und Präsident. Es wird erwartet, dass er die ersten beiden Titel auf dem Parteikongress und die Präsidentschaft auf dem jährlichen Nationalen Volkskongress im März 2023 erneuert.
Der Ständige Ausschuss
Im derzeit siebenköpfigen Ständigen Ausschuss werden mindestens zwei Sitze frei, wenn Xi die traditionelle Altersgrenze von 68 Jahren für Beamte (mit Ausnahme seiner selbst) durchsetzt. Er braucht mindestens drei Verbündete, um sich eine Mehrheit in dem Gremium zu sichern, das die Angelegenheiten von fast einem Fünftel der Weltbevölkerung regelt. Unter den verschiedenen personellen Veränderungen, die sich besonders auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte auswirken, stechen diese beiden hervor:
Premier Li Keqiangs Amtszeit endet. Die Wahl seines Nachfolgers ist wichtig, da er das Vertrauen der Wirtschafts- und Finanzmarktgemeinschaft genießt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass er den Staffelstab des Ministerpräsidenten weitergibt, aber im Ständigen Ausschuss in einem anderen Amt bleibt. Die Anleger werden sich darauf konzentrieren, ob der Nachfolger eher reform- und marktorientiert ist oder ob er eher an traditionellen Denkweisen festhält (Reformen versus politische Kontinuität). Da es sich um ein staatliches Amt handelt, wird er erst auf dem Nationalen Volkskongress im März 2023 formell bestätigt werden.
Vizepremier Liu He‘ Amtszeit endet ebenfalls, was erhebliche Auswirkungen haben könnte. Seine Nachfolge könnte einen wesentlichen Einfluss auf Chinas wirtschaftspolitisches Denken und Handeln haben. Liu He leitet auch das Generalbüro des Zentralkomitees für Finanz- und Wirtschaftsfragen (CFEA), die höchste Arbeitsgruppe der KPC für Wirtschaftsfragen. Er ist auch Vorsitzender des Ausschusses für Finanzstabilität beim Staatsrat, der die Koordinierung zwischen den Regulierungsbehörden überwacht. Nicht zuletzt leitete er Chinas Team während der Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China.
Sowohl der Gouverneur der Zentralbank (PBoC), Yi Gang, als auch der Vorsitzende der China Banking Insurance Regulatory Commission (CBIRC), Guo Shuqing, könnten eine weitere Amtszeit antreten, oder eben auch nicht. Beide Entscheidungen sind angesichts der aktuellen Herausforderungen bei der Finanzierung der notwendigen Umstrukturierung des Immobiliensektors und der potenziellen Unsicherheit über künftige Regulierungsmaßnahmen nach den einschneidenden Maßnahmen in den vergangen Jahren, insbesondere im Internet- und Bildungssektor, für die Anleger offensichtlich wichtig.
1.2. Der politische Kalender dürfte auch nach dem Parteitag interessant bleiben
Während unmittelbar nach dem Parteitag kaum mehr als die personellen Umbesetzungen bekannt sein dürften, gibt es im November und Dezember wichtige Ereignisse zu beobachten. Kurz nach dem Parteitag wird das erste neue Politbüro zusammentreten. In Anbetracht der großen Unsicherheit über die Aussichten für das Wirtschaftswachstum könnte die zentrale Wirtschaftskonferenz im Dezember wichtige Hinweise geben. Im ersten Quartal 2023 werden der Nationale Volkskongress und der Zentrale Wirtschaftsausschuss (siehe Tabelle) wichtige Leitlinien für die nächsten fünf Jahre festlegen.
Die wichtigsten Termine nach dem Kommunistischen Partei Kongress
Datum |
Ereignis |
Kommentar |
16. Oktober 2022 |
Start des 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas
Politischer Bericht des Generalsekretärs |
Abschluss: 22. Oktober. Kongress wählt das Zentralkomitee
Generalsekretär Xi gibt einen ausführlichen Bericht über die Errungenschaften der Partei in den letzten 5 Jahren ab und legt Strategien für die kommenden Jahre fest |
23. Oktober 2022 |
1. Plenum des 20. Partei-Kongresses |
Zentralkomitees des Parteikongresses (ca. 200 Vollmitglieder und 170 stellvertretende Mitglieder), hält das erste Plenum ab, um das Politbüro (25 Mitglieder) und seinen Ständigen Ausschuss (7-9 Mitglieder) zu wählen |
Oktober 2022 |
Politbüro- Meeting |
Möglicherweise weitere Hinweise zur Wirtschaftspolitik |
November 2022 |
Nationwide Financial Work Conference |
|
Anfang Dezember 2022 |
Politbüro-Meeting |
Politischer Ausblick auf 2023, Vorbereitung auf CEWC |
Mitte Dezember 2022 |
Central Economic Work Conference (CEWC) |
Findet am Ende eines jeden Jahres statt. Wichtigstes Treffen für die chinesische Wirtschaft. Die Spitzenpolitiker der Kommunistischen Partei Chinas erörtern ausführlich die politischen Prioritäten und Ziele für das nächste Jahr |
Februar 2023 |
2. Plenum des 20. Partei-Kongresses |
Diskussion über die Neubesetzung der Regierungsposten |
März 2023 |
National People Congress and CPPC |
Neubesetzung von Partei- und Regierungsämtern nach den beiden Tagungen im März 2023 abgeschlossen. Nach der Klärung von Personalfragen wird das Zentralkomitee der Partei in den kommenden fünf Jahren Plenumssitzungen abhalten (Themen von Wirtschaftspolitik und Reformen bis hin zur Parteiführung). |
Okt. / Nov. 2023 |
3. Plenum des 20. Partei-Kongresses |
Dokumente zur Politik/Institutionelle Gestaltung/Reformen |
Quellen: Goldman Sachs, Xinhua, DWS Investment GmbH; Stand: Oktober 2022 |
2 / Ausblick: Chinas politische Führung steht vor beispiellosen wirtschaftlichen Herausforderungen
2.1. Kurzfristig zu lösende Probleme: Neukalibrierung der Covid-Politik und Unterstützung des Immobiliensektors
Der politische Bericht, den Generalsekretär Xi Jinping vorlegen wird, wird eine Blaupause für China für die nächsten fünf Jahre und bis 2035 zeichnen. Die politischen Unsicherheiten könnten nach dem Parteitag abnehmen, da sich Peking wieder auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren dürfte. Insbesondere besteht die Hoffnung auf weitere Verbesserungen bei der Umsetzung der Politik. Die Hoffnung auf eine baldige Flexibilisierung der Covid-Strategie sind mit den jüngsten Verlautbarungen erloschen. Die meisten Beobachter rechnen erst nach dem Nationalen Parteitag im März nächsten Jahres mit einer deutlichen Abkehr von der strikten Politik. Eine weitere Dringlichkeit ergibt sich aus der Krise des Immobiliensektors; das neue Wirtschaftsteam wird wahrscheinlich einen ganzheitlichen Ansatz zur Bewältigung dieser Probleme präsentieren, inklusive einiger neuer Stützungsmaßnahmen.
Die Covid-Politik ist angesichts der Unpopularität der strengen Maßnahmen innenpolitisch ein heikles Thema, aber auch entscheidend für die Wirtschaftsaussichten und die Entscheidungen der in- und ausländischen Unternehmen. Anders als in den früheren Phasen der Pandemie betreffen die wirtschaftlichen Schäden der Covid-Beschränkungsmaßnahmen vor allem den Dienstleistungssektor und dämpfen die Konsumnachfrage erheblich. Zusammen mit dem anhaltenden Druck auf die privaten Ausgaben durch die Immobilienkrise gibt es genügend Anreize, die strikte Covid-Politik anzupassen. Erwarten kann man mehr Flexibilität und Pragmatismus, wenn auch nicht unmittelbar nach dem Kongress, sondern eher schrittweise, im Einklang mit den Fortschritten bei den chinesischen mRNA-Impfstoffen und höheren Impfraten (v.a. Boosterimpfungen der älteren Generation) und in der medizinischen Behandlung der Erkrankten.
Die politisch und wirtschaftlich schwersten Entscheidungen betreffen den Immobiliensektor. Grund ist der Zielkonflikt zwischen notwendiger Umstrukturierung, Verringerung der Schulden und Verkleinerung des Sektors einerseits und der Verhinderung von Systemkrisen und der Verringerung größerer Ansteckungseffekte auf die Realwirtschaft andererseits. Das Problem ist nicht nur wirtschaftlich dringlich, sondern hat auch soziale Auswirkungen, wie die "ungewöhnlichen" Streiks der Hypothekenzahler im Frühsommer gezeigt haben. Immerhin sind 90 Prozent der Bevölkerung Immobilienbesitzer. Der Immobiliensektor einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen macht 25-30 Prozent des Bruttoinlandsprodukt aus und stellt etwa die Hälfte des Vermögens des privaten Sektors dar.
2.2. Strukturelle innenpolitische Veränderungen und Geopolitik
Der politische Bericht von Präsident Xi wird wahrscheinlich die wichtigsten Errungenschaften hervorheben, zum Beispiel, dass China auf dem Weg ist, die amerikanische Wirtschaft in etwa einem Jahrzehnt zu überholen. Im Inland hat er bereits den Sieg über die extreme Armut erklärt (Menschen, die weniger als 11 Yuan pro Tag verdienen). Die Fortschritte im Bereich des Wohlstands lassen sich auch daran ablesen, dass das chinesische Pro-Kopf-Einkommen 2021 erstmals den Weltdurchschnitt übertroffen hat.
Das Chinesische pro Kopf BIP übertraf 2021 erstmals den weltweiten Durchschnitt
Quellen: Refinitiv Datastream, Word Bank, DWS Investment GmbH; Stand: 10.2022
Während bis vor kurzem die Steigerung des Einkommens das Hauptziel der Politik war, verlagerte sich der Schwerpunkt bereits vor zwei Jahren auf das Ziel ‚common prosperity‘. Damit ist die bessere Verteilung des Wohlstandes und die Korrektur von Ungleichgewichten im Sozialsystem gemeint. Common prosperity wird wahrscheinlich als ein wichtiges langfristiges Ziel beibehalten werden. Die Kommunikation über Einzelheiten im Anschluss an den Kongress wird genau beobachtet werden, da das Thema in den vergangenen zwei Jahren Auslöser für weitreichende Regulierungsmaßnahmen war (Verringerung des Einflusses/Machtmissbrauchs von Internetunternehmen, Verbesserung der Datensicherheit, der Arbeitsbedingungen, der Bezahlbarkeit von Bildung und anderes). Auch wenn die Kommunikation darauf hindeutet, dass die einschneidendsten Maßnahmen vorbei sind, lohnt es sich, die Kommunikation der nächsten Runde dieser Maßnahmen zu beachten.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen für die chinesische Wirtschaft ist Stabilität das wichtigste Ziel. Die unvermeidliche Umstrukturierung, Entschuldung und Verkleinerung des Immobiliensektors machen es notwendig, neue Wachstumssektoren zu finden und zu fördern. Der private Konsum trägt ebenfalls weniger als in der Vergangenheit zum Wachstum bei, angesichts der Covid-Restriktionen, hartnäckig hohen Arbeitslosigkeit und der Auswirkungen der Immobilienmisere. Aus sozialen Gesichtspunkten ist insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit eine Sorge. Auch nach Berücksichtigung der üblichen Saisonmuster (Studienabgänger im Sommer) bleibt ein hohes Niveau an Arbeitslosigkeit, das zumindest teilweise strukturell bedingt ist, weil die großen Technologieunternehmen die Beschäftigung zurückfahren.
Arbeitslosigkeit der städtischen Erwerbsbevölkerung im entsprechenden Alterssegment
Quellen: China National Bureau of Statistics, Haver Analytics, DWS Investment GmbH; Stand: 10.2022
Nicht zuletzt stellt die Geopolitik eine große Herausforderung für China dar. Jeder Hinweis auf künftige außenpolitische Ziele ist hier von großem Interesse. Die Beziehungen zwischen den USA und China haben sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert und dürften wahrscheinlich noch komplizierter werden. Einiges spricht dafür, dass die Spannungen zwischen beiden Ländern weiter eskalieren und die militärische Aufrüstung auf beiden Seiten vorantreibt. Gleichzeitig bleibt China jedoch ein äußerst wichtiger Handelspartner für die meisten Schwellenländer und viele Industrieländer. Die Hoffnung, dass nach der Klärung der wichtigsten politischen Entscheidungen in China Raum für eine Verbesserung der Außenbeziehungen bleibt, dürfte optimistisch sein.