- Der Trend zunehmender De-Globalisierung hat in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen. Paradebeispiel hierfür ist der Handelskrieg zwischen den USA und China.
- Protektionistische Tendenzen dürften auch nach der US-Wahl dominieren, und das unabhängig vom Wahlausgang.
- Als kritisch angesehene Technologien werden gezielt gefördert, insbesondere in den USA.
Eine globalisierte Welt scheint nicht mehr das zu sein, wonach große Staaten wie die USA, China oder auch Regionen wie die Eurozone streben. Vielmehr sind in den vergangenen Jahren sogar vermehrt gegensätzlichen Strömungen zu erkennen gewesen. De-Globalisierung findet statt im Gewand von Handelskriegen und dem Abbau von hohen gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Fokussierung auf die eigenen Stärken und die Förderung derselben stehen im Fokus protektionistischer Maßnahmen. Die USA haben unter dem Label der nationalen Sicherheit 14 kritische Technologien identifiziert, die als besonders relevant eingeschätzt werden. Für Investoren bieten sich interessante Perspektiven.
1 / De-Globalisierung oder lediglich De-Risking?
Sehen wir den Welthandel als Teil der Lösung von Problemen oder als Teil des Problems? Diese Fragestellung hat Ralph Ossa, der Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO), zu Beginn des Jahres aufgeworfen.[1] Ist der Hochpunkt der Globalisierung bereits überschritten und befinden wir uns bereits wieder in einer Phase des Rückbaus derselben? Ossa sieht momentan zwar lediglich eine Gefahr, dass „aus dem Abflachen der Globalisierung eine De-Globalisierung wird“. Kritischere Zeitgenossen machen hingegen erschreckende protektionistische Tendenzen aus.
Wir erwarten, dass die Themen Handel, nationale Sicherheit und Förderung der heimischen Wirtschaft auch bei den in diesem Jahr über den gesamten Erdkreis verteilt anstehenden Wahlen eine wichtige Rolle spielen werden. Vor allem bei den Präsidentschaftswahlen in den USA wird die Frage nach der Haltung gegenüber wichtigen Handelspartnern bereits im Vorfeld stark diskutiert. Donald Trump hat sich bereits sehr klar positioniert, vor allem in Richtung China – Drohungen über zu erwartende Zölle inklusive.[2] Auch Joe Biden hat während seiner Amtszeit bereits Maßnahmen ergriffen, die die chinesische Position im Verhältnis zu den USA schwächen.[3] Beiden Politikern geht es dabei zwar in erster Linie um die Stärkung der heimischen Industrie und somit um die Wahrung nationaler Interessen. Es scheint allerdings, als würde eine Schädigung der chinesischen Stärken billigend in Kauf genommen.
In Europa gibt es ebenfalls bereits ausgeprägte Tendenzen, sich auf wichtigen Wettbewerbsfeldern unabhängiger zu machen. Ein von der Europäischen Kommission forciertes Vorhaben ist die Plattform Strategische Technologien für Europa (Strategic Technologies for Europe Platform, STEP).[4] Mit STEP sollen Investitionen in kritische Technologien in den Bereichen digitale Technologie und Deep Tech unterstützt werden, worunter Technologien verstanden werden, die neue innovative Wege finden, grundlegende Probleme zu lösen. Auch umweltschonende Technologien und Biotechnologie stehen im Fokus von STEP. In der Vorstellung der Kommission geht es um eine Verringerung der strategischen Abhängigkeiten der EU (bspw. ausländische Lieferketten) und gleichzeitig eine Stärkung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit. Durch STEP werden die Weichen gestellt, Finanzmittel aus verschiedenen EU-Programmen zu mobilisieren und diese vorrangig in digitale und grüne Technologien zu lenken. Insgesamt sollen so in den kommenden Jahren bis zu 160 Mrd. Euro an Investitionen getätigt werden. Um diese Investitionskapazität noch zu erhöhen, ist für STEP ein eigenes Budget in Höhe von 10 Mrd. Euro geplant.[4]
Bei aller Rückbesinnung und Fokussierung auf eigene Stärken ist die EU dennoch bemüht, insbesondere gegenüber China einen moderaten Ton anzuschlagen. "Unsere Strategie gegenüber China ist … keine Abkopplungsstrategie, sondern eine De-Risking-Strategie", sagte beispielsweise der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und bezog sich dabei auf Maßnahmen zur Umstrukturierung globaler Lieferketten, die heute oft in China konzentriert sind.[5] Macron sagte weiter, die De-Risking-Strategie werde "von China voll und ganz akzeptiert" und sei ein "fairer" Weg der Zusammenarbeit, der die EU davor bewahre, "zu sehr von einem kritischen Teil unserer Wertschöpfungskette abhängig zu sein".
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1.1Â Global ausgerichtete Unternehmen stehen unter Anpassungsdruck
Für die Unternehmenswelt hält der Trend der De-Globalisierung ganz unterschiedliche Herausforderungen bereit – aber natürlich auch Chancen. Je nach Ausmaß der internationalen Verstrickungen und generell der geografischen Präsenz unterscheiden sich die Auswirkungen erheblich. Dennoch erscheint es im aktuellen Umfeld für die meisten Unternehmen unverzichtbar, zumindest ein Mindestmaß an Maßnahmen zu treffen, um strategisch für die bereits entstandenen sowie noch entstehenden geopolitischen Veränderungen gerüstet zu sein. Solche strategischen Entscheidungen sollten tief in die bestehenden Geschäftsmodelle und Strategien eingearbeitet werden, da sie die Unternehmen wohl noch eine Weile begleiten dürften. Zudem könnten diejenigen Unternehmen einen Vorteil erlangen, die sich frühzeitig positioniert haben.
Wie EY im Rahmen des geostrategischen Ausblicks 2024 herausgearbeitet hat, geht es neben geopolitischen Überlegungen vor allem um die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit globaler Lieferketten und die Anpassung der Nachhaltigkeitskriterien an die neuen geopolitischen Realitäten.[6] Reagieren oder besser Agieren sollten Unternehmen (je nach Orientierung und Geschäftsfeld) beispielsweise mit einer Neuausrichtung der globalen Präsenz und der Unternehmensstrategie auf eine komplexere, multipolare geopolitische Landschaft, dem Überdenken der Lieferkettenstrategien und dem potenziellen Ausbau von Produktionskapazitäten und Lieferantenbeziehungen in neuen Märkten sowie beim Wettbewerb um Rohstoffe. Die im Zuge der stattfindenden geopolitischen Verschiebungen auftretenden Risiken sind mannigfaltig.
Weltweiter Handel geht jĂĽngst deutlich zurĂĽck,
Sources: CPB Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis, DWS Investment GmbH; Stand 01.11.2023
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2 / Angespannte Beziehung zwischen den USA und China
In der breiteren Wahrnehmung scheint es allerdings weiterhin so zu sein, dass vor allem die zu beobachtenden Machtspielchen zwischen den USA und China ein Paradebeispiel dafür sind, wie sich das globale Gefüge um Einfluss und Vormachtstellung momentan verschiebt. Dabei nehmen sich beide Seiten nichts; es wird auf sämtlichen Feldern versucht, Vorteile zu erlangen.
Am intensivsten tobt der protektionistische Wettlauf zwischen den USA und China im Bereich der Technologie. Und damit ist über die vergangenen Jahre eine Verschiebung zu erkennen gewesen von einem Handelskrieg, eingeleitet seinerzeit von Donald Trump, hin zu Abgrenzungstendenzen vor allem mit Blick auf technologische Fortschritte und Investitionen. Und zumindest aus Sicht der Amerikaner ist es auch verständlich, warum Sorgen um die Vorreiterrolle im Technologiebereich entstanden sind. So war China laut einer Studie der australischen Denkfabrik ASPI im Jahr 2023 in 37 von 44 kritischen Technologien führend.[7] ASPI sieht China vor allem in den Bereichen Hightech-Materialien und Industrieproduktion, Energie und Umwelt sowie künstliche Intelligenz in Führung. Die USA kann hingegen in den Feldern Hochleistungs-Computer und Quanten-Computing einen Vorsprung vorweisen.
Diese Entwicklung wird in den USA durchaus seit Längerem registriert und die Biden-Administration hat in den vergangenen Jahren auch bereits entsprechend reagiert: Laut ASPI hat Washington 2022 viele hundert Milliarden US-Dollar an Subventions- und Anreizpaketen für die Wirtschaft und Wissenschaft geschnürt. Ein Beispiel hierfür ist der CHIPS and Science Act, im Zuge dessen über 200 Milliarden US-Dollar investiert werden sollen, um die Halbleiter-Industrie zu stärken und Grundlagenforschung zu fördern. Auch der Inflation Reduction Act ist ein milliardenschweres Subventionspaket, in diesem Fall zur Unterstützung sauberer Energien. Die heimischen Sektoren sollen durch gezielte Unterstützung wieder in der Lage sein, dem eigenen Führungsanspruch gerecht zu werden.
Massive TechnologiefĂĽhrerschaft Chinas ggĂĽ. den USA
Quellen: Australian Strategic Policy Institute, DWS Investment GmbH | Stand. 22.09.2023
Von der Wahl im November dürften keine merklichen Änderungen der amerikanischen Handelspolitik zu erwarten sein. Denn letztlich unterscheiden sich Demokraten und Republikaner in Person von Joe Biden und Donald Trump in ihrer internationalen Ausrichtung nicht wirklich stark – das haben die vergangenen acht Jahre mit zwei unterschiedlichen Administrationen gezeigt. Und so sollte auch das Verhalten gegenüber China über November hinaus eher konfrontativ bleiben. Beide Kandidaten versuchen, im Vorfeld des Urnenganges zwar einerseits Härte zu zeigen, andererseits jedoch auch die Bereitschaft, auf die chinesische Führung zuzugehen und nicht gleich sämtliche Türen zu verschließen. In der Substanz stehen beide Kandidaten jedoch für einen eher strikten protektionistischen Kurs.
Durch die hohe Anzahl an Wahlen, die in diesem Jahr weltweit stattfinden, droht diese Tendenz auch global verfestigt zu werden. Die massiv steigende Bedeutung und Implementierung wirtschaftlicher Abgrenzungsmaßnahmen versetzten der Globalisierung und den freien Märkten einen deutlichen Rückschlag. Das hierbei oft zitierte Sicherheitsargument untergräbt das multilaterale Handelssystem und die Grundsätze des fairen Handels und beeinträchtigt grenzüberschreitende Transaktionen. Denn vor allem geht es darum: um Sicherheit. Gerade in den USA spielt vor diesem Hintergrund das amerikanische Verteidigungsministerium (Department of Defense, DoD) eine wichtige Rolle bei der Festlegung, auf welche Bereiche besonders zu achten ist bzw. welche Themengebiete einer besonderen Förderung bedürfen. Dabei arbeitet das Ministerium in Form des Under Secretary of Defense for Research and Engineering (OUSD(R&E)) eigenen Aussagen zufolge „eng mit den US-Streitkräften, den Kampfkommandos, der Industrie, der Wissenschaft und anderen Interessengruppen zusammen, um sicherzustellen, dass die Wissenschafts- und Technologiestrategie des Ministeriums den wichtigsten nationalen Sicherheitsherausforderungen – vom Anstieg der Weltmeere bis zum Aufstieg Chinas – gerecht wird, mit denen die Vereinigten Staaten heute und in Zukunft konfrontiert sind“.[8]
3 / Besondere Förderung von Critical Tech in den USA
Drei Kategorien von Technologiebereichen tragen laut US-Verteidigungsministerium dem vielfältigeren und komplexeren Umfeld für Investitionen in, sowie Entwicklung und Anwendung von Technologien Rechnung, das für das frühe 21. Jahrhundert prägend ist. Namentlich sind dies “Aufkommende Opportunitäten”, „Erfolgreiche Adaption“ sowie „Verteidigungsspezifische Technologien“. Das Verteidigungsministerium hat innerhalb dieser Segmente 14 kritische Technologiebereiche identifiziert, die für die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten als von entscheidender Bedeutung gesehen werden.[9] Durch Konzentration der Bemühungen und Investitionen auf diese 14 kritischen Technologiebereiche geht das Ministerium davon aus, dass die „Übergabe von Schlüsselfähigkeiten an die Streitkräfte und die Kampfkommandos“ beschleunigt werden kann. Die Kategorisierung ist dabei keineswegs in Stein gemeißelt, sondern das DoD behält sich vor, die Priorisierung kritischer Technologien zu aktualisieren, sofern dies notwendig werden sollte. Während rund eine Handvoll dieser kritischen Tech-Bereiche, wie Hyperschall-Systeme und so genannte zielgerichtete Energiewaffen – zu denen beispielsweise Hochenergielaser sowie Mikrowellenwaffen gehören – fast ausschließlich militärisch relevant sind, werden die meisten von der Privatwirtschaft für den breiteren Markt entwickelt.
Natürlich ist in diesem Zusammenhang die Finanzierung von Forschung und Innovation ein wichtiges Thema. Um an dieser Stelle hilfreich unter die Arme greifen zu können, hat das Verteidigungsministerium einen eigenen Investmentarm aus der Taufe gehoben.[10] Diese Entscheidung trägt der Tatsache Rechnung, dass heutzutage Kapital aus dem privaten Sektor die dominierende Finanzierungsquelle für die Technologieentwicklung ist. Das Ministerium sieht sich eigenen Aussagen zufolge durch diesen Schritt in der Lage, durch die „Zusammenarbeit mit vertrauenswürdigem privatem Kapital, das sich auf kritische Technologiebereiche für das Verteidigungsministerium konzentriert, dauerhafte Vorteile aufzubauen".
14 kritische Technologien, wie sie vom US-Verteidigungsministerium identifiziert wurden
Quellen: US-Verteidigungsministerium, DWS Investment GmbH; Stand 14.02.2024
Vor dem Hintergrund der expliziten Unterstützung kritischer Technologien dürfte dieser Bereich nicht zuletzt auch für Investoren von starkem Interesse sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn davon ausgegangen wird, dass die gezielte Förderung Innovation und somit auch Wachstum anstoßen kann.
4 / Zusammenfassung und Ausblick
Die zu beobachtende, zumindest teilweise Rückführung der Globalisierungsbemühungen ist ein Trend, der absehbar anhalten dürfte. Die vergangenen Jahre haben gelehrt, dass eine zu enge internationale Verzahnung nicht nur Vorteile mit sich bringt, sondern insbesondere in Krisenzeiten die eigene Handlungsfähigkeit teils massiv negativ beeinträchtigen kann. Dass sich Staaten dagegen schützen möchten, ist gut nachvollziehbar – auch wenn manche protektionistischen Maßnahmen ein wenig übers Ziel hinauszuschießen scheinen. Internationale Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Bereichen bleibt dennoch auch in Zukunft eine Notwendigkeit, damit „eigenbrötlerische“ Tendenzen uns nicht um Jahre zurückwerfen – und das nicht nur mit Blick auf den wichtigen Themenkomplex nationale Sicherheit.
Auch wenn der momentane Trend der De-Globalisierung für viele Investoren erst einmal tendenziell negativ erscheint, ergeben sich hieraus auch Chancen. Unternehmen aus kritischen Technologiebereichen dürften, besonders in den USA, gute Aussichten auf spezielle Förderung haben. Amerika verfolgt die Strategie – und das scheint auch unabhängig davon gegeben zu sein, welcher Präsidentschaftskandidat im November an die Macht kommt –, im Technologiesektor wieder unabhängiger zu werden, und vor allem gegenüber China die im Laufe der Jahre verlorengegangene Vormachtstellung wiederherzustellen.  Dies soll über zielgerichtete Investitionen in Unternehmen geschehen, die in eine der vom Verteidigungsministerium identifizierten 14 Technologiekategorien fallen. Der Tech-Sektor ganz allgemein sollte auch weiterhin im speziellen Fokus der Märkte stehen, da Innovationsfreude und das Vorantreiben disruptiver Veränderungen durch zunehmende Digitalisierung den Zeitgeist treffen. Unternehmen, die aufgrund der Zugehörigkeit zu einem der 14 kritischen Technologiebereiche eine besondere Unterstützung erwarten dürfen, könnten sogar doppelt profitieren.