Wer Deutschland ab September regieren wird, ist ungewisser denn je, zumindest auf Basis der aktuellen Wahlumfragen[1]. Der Vorsprung der CDU/CSU gegenüber den anderen Parteien schrumpft; SPD und Grüne liegen inzwischen gleichauf; die FDP befindet sich im Aufwärtstrend, während die Linke der 5-Prozent-Hürde aus ihrer Sicht gefährlich nahe kommt.
Zu den starken Verschiebungen kurz vor der Wahl gesellt sich noch eine weitere Besonderheit: Die neue Koalitionsregierung wird mit großer Wahrscheinlichkeit aus drei oder mehr Parteien, was Prognosen für das Ergebnis zusätzlich erschwert. Spätestens seit dem Scheitern der Jamaika-Koalitionsvereinbarung vor vier Jahren wissen wir, welche Dynamik Koalitionsverhandlungen entfalten.
In diesem Beitrag wollen wir näher darauf eingehen, wie der Wahlausgang die Fiskalpolitik beeinflussen könnte. Schließlich ist die Staatsverschuldung in Deutschland und in Europa durch die Corona-Krise dramatisch angestiegen. Bei den Parteien gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie man dieses Problem adressieren will.
Es gibt drei Stellgrößen im Bundeshaushalt: die Einnahmen, die Ausgaben und die Neuverschuldung.
Spätestens seit dem Scheitern der Jamaika-Koalitionsvereinbarung vor vier Jahren wissen wir, welche Dynamik Koalitionsverhandlungen entfalten können.
Alle Parteien[2] haben mehr oder minder detaillierte Reformvorschläge für die Besteuerung privater Haushalte und Transferzahlungen des Staates vorgelegt. Dabei geht es allen Parteien darum, die „kleinen Leute“ zu entlasten. Die CDU/CSU und insbesondere die FDP möchten jedoch auch höhere Einkommen entlasten, während die Linke (und mit Abstrichen auch die Grünen und die SPD) über einen sehr progressiven Steuertarif Bezieher hoher Einkommen belasten will, um einerseits die Staatseinnahmen zu erhöhen und andererseits die Ungleichheit zu reduzieren.
Das ZEW[3] hat in einer Kurzexpertise die Auswirkungen auf die Staatsfinanzen analysiert. Abbildung 1 zeigt, wie stark die öffentlichen Haushalte laut dieser Expertise durch die Steuerpläne der verschiedenen Parteien belastet würden.
Abb. 1 Wahlprogramme der Parteien: Belastungen (+) und Entlastungen (-) der öffentlichen Finanzen*
Zugleich streben alle Parteien deutlich höhere Investitionsausgaben in Deutschland an. Während CDU/CSU und FDP dabei vor allem auf den privaten Sektor setzen, denken SPD, Grüne und die Linke vor allem an staatliche Investitionen.
Daraus resultieren unterschiedliche Vorstellungen für die Neuverschuldung. Für die bürgerlichen Parteien steht die Konsolidierung der Staatsfinanzen im Vordergrund, während die eher linken Parteien vor allem die staatlichen Investitionen und im Falle der Linken auch Sozialleistungen als wichtiger erachten.
...Dramatische Verschiebungen im Staatshaushalt darf man von solchen Koalitionen also nicht erwarten.
Was kann man sich konkret vorstellen?
- Eine „bürgerliche“ Koalition aus CDU/CSU und FDP dürfte bestrebt sein, die Schuldenbremse einzuhalten, auf nationaler Ebene möglichst rasch zu einem ausgeglichenen Haushalt („schwarze Null“) und auf europäischer Ebene zu den Maastricht-Kriterien zurückzukehren. Zugleich hat die FDP ausgeschlossen, mit einer Partei zu koalieren, die Steuererhöhungen anstrebt. Im Gegenteil: Die FDP will eine deutliche Entlastung der privaten Haushalte erreichen – nicht nur im unteren Einkommensbereich, sondern über alle Einkommensschichten hinweg. Damit bleibt faktisch sehr wenig Raum für öffentliche Investitionen. Schließlich wird dem privaten Sektor ohnehin Vorrang bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben eingeräumt. Auch die Rückführung der Staatsverschuldung soll in erster Linie über realwirtschaftliches Wachstum erfolgen. An den (europäischen) Anleihemärkten könnte ein solches Wahlergebnis zumindest für kurze Zeit für Unruhe sorgen. Letztlich wird aber auch eine bürgerliche Koalition die Zeit nicht zurückdrehen wollen. An den Aktienmärkten dürfte die eher wachstumsfreundliche Grundausrichtung einer solchen Koalition mit Wohlwollen betrachtet werden.
- Eine „linke“ Koalition aus Grünen, SPD und Linken dürfte den gegenteiligen Weg einschlagen. Die Linke will die Staatseinnahmen deutlich erhöhen, vor allem durch massive Steuererhöhungen für Bezieher hoher Einkommen, die Einführung einer Vermögensteuer und eine deutliche Erhöhung der Schenkungs- und Erbschaftssteuer. In dieser Ausprägung dürften die Pläne allerdings am Widerstand der SPD und wahrscheinlich auch der Grünen scheitern. Alle drei Parteien weisen dem Staat aber eine aktivere Rolle bei der Lösung der anstehenden Probleme zu. Daher ist im Falle einer solchen Koalition mit einem deutlichen Anstieg der Staatsausgaben zu rechnen. So wollen die Grünen in den kommenden zehn Jahren die Investitionsausgaben des Bundes um 500 Mrd. Euro erhöhen. Das entspricht in etwa einer Verdoppelung gegenüber den aktuellen Investitionsausgaben (Abb. 2). Die Linke will allein 10 Mrd. Euro für den Breitbandausbau investieren. Die in den Wahlprogrammen veranschlagten Ausgaben übersteigen aber bei Weitem die geplanten (und aus unserer Sicht unrealistisch hohen) Mehreinnahmen des Staates, sodass die Staatsverschuldung letztlich weiter ansteigen dürfte. Daher wird eine solche Koalition alles daransetzen, die Schuldenbremse abzulösen. Das allerdings dürfte selbst im Falle des Gelingens Jahre benötigen, da diese im Grundgesetz verankert ist. Bis dahin dürfte man also versuchen, die Grenzen des verfassungsmäßig Möglichen auszuloten. Auf europäischer Ebene wird man sich dafür einsetzen, die Verschuldungsgrenzen aufzuweichen. Die absehbar höhere Verschuldung könnte möglicherweise bei einigen Anlegern für etwas Unruhe sorgen. Die „Anti-Austeritätspolitik“ einer solchen Regierung sollte an den europäischen Anleihemärkten insgesamt aber positiv aufgenommen werden. Die absehbar höhere Steuerbelastung der Unternehmen zusammen mit einer wenig marktfreundlichen Regulierung dürfte allerdings die deutschen Aktienmärkte belasten.
- Die meisten realistischen Koalitionen dürften zwischen diesen beiden Extremen liegen. Im Falle einer Jamaika-Koalition (CDU/CSU, Grüne und FDP) dürften sich die Wünsche der Grünen und der FDP weitgehend neutralisieren. Ähnliches gilt für eine Deutschland-Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP. Eine Ampel-Koalition hätte zwar ein etwas größeres Gewicht auf der linken Seite, aber die FDP dürfte auch in eine solche Koalition nur dann einwilligen, wenn der ausgehandelte Koalitionsvertrag nicht diametral den eigenen politischen Überzeugungen entgegen steht. Dramatische Verschiebungen im Staatshaushalt darf man von solchen Koalitionen also nicht erwarten.