- Der Kampf der globalen Zentralbanken gegen die Inflation durch den scharfen Zinserhöhungszyklus hat seine ersten prominenten Opfer gefordert.
- Durch entschlossenes Handeln haben die US-Behörden wahrscheinlich eine systemische Krise vorerst vermieden.
- Dennoch scheint an den Märkten vorerst Wachsamkeit geboten.
Aktualisierung, 13. März, 20:00 Uhr CET
- Nach heftigen Abverkäufen in den als riskanter eingestuften Marktsegmenten, fanden die Märkte im Laufe des Montags zumindest einen Boden und erholten sich teils etwas. Trotz geringer Liquidität in Teilsegmenten verlief de Handel weitgehend reibungslos. Zudem gab es nicht nur Verluste, vermeintlich sichere Anlagen wie Gold und Staatsanleihen konnten zulegen (anders als im März 2020).
- Dennoch ist der Stress im System nach wie vor hoch, wie etwa die rekordhohe Volatilität im US-Anleihemarkt, der rekordhohe Renditerückgang von über einem Prozentpunkt bei 2-jährigen US-Treasuries und nicht zuletzt der Aktienkurseinbruch von über 25 Prozent bei fünf US-Banken zeigen.
- Doch auch wenn die ähnlich wie SVB aufgestellten Institute weiter unter Druck stehen dürften und auch andere Banken sich um ihre Einlagen sorgen müssen, gehen wir nicht davon aus, dass es zu einem systemischen Übergreifen auf den Gesamtmarkt kommen wird.
- Das bedeutet nicht, dass es nicht noch in ungeahnten Marktsegmenten zu Stresssituationen kommen wird. Wie der Markt darauf reagieren wird, ist höchst unsicher, so dass wir zunächst vorsichtig bleiben und vermeintlich attraktive Kurse noch nicht zum Einstieg nutzen.
Warum die SVB insolvent ging
Vor einer Woche sah es so aus, als ob der US-Arbeitsmarktbericht und vielleicht auch die Auftritte des Präsidenten der US-Notenbank (Fed), Jay Powell, die dominierenden Themen der Woche sein würden. Doch es kam anders. Die Schwierigkeiten der "Silicon Valley Bank" SVB ließen die Anleger in vermeintlich sichere Anlagen flüchten, was zu Renditerückgängen bei den Staatsanleihen und zu Verlusten an den Aktienmärkten führte.
Die große Frage ist natürlich, ob die Probleme dieses einen kalifornischen Instituts ein Hinweis auf größere, möglicherweise sogar systemische Probleme sein könnten. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sind es wahrscheinlich Mängel bei der Fristentransformation, die die Bank in Schwierigkeiten gebracht haben[1]. Die Einlagen bei der SVB haben sich von 2017 bis Ende 2021 mehr als vervierfacht, von 44 Milliarden auf 189 Milliarden Dollar, während der Darlehensbestand der Bank nur von 23 auf 66 Milliarden Dollar anstieg; stattdessen wurden die Kundengelder zunehmend in langlaufende Staats- und hypothekarisch gesicherte Wertpapiere (MBS) investiert, die natürlich mit den steigenden Renditen in den letzten Quartalen an Marktwert verloren. Als Kunden aus der kalifornischen Start-up-Szene ihre Einlagen abziehen wollten (oder mussten?), mussten die Anleihen liquidiert und damit die Verluste realisiert werden. Dies kostete die SVB angeblich 1,8 Milliarden Dollar, die die Bank durch den Verkauf von Aktien kompensieren wollte. Doch dieser Plan ging nicht auf, da a) der Aktienkurs abstürzte und b) die Einleger weitere 42 Milliarden Dollar abzogen. Ein Bank-Run, wie man früher sagte. Die gute Nachricht ist, dass die Verluste offenbar nicht aus dem Kreditportfolio stammen[2]. Am Freitag übernahm die U.S. Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) die Bank, was zunächst bedeutete, dass Kleinanleger bis zu einer Höhe von 250.000 Dollar abgesichert sind. 93 Prozent der Einlagen wären durch diese Garantie nicht gedeckt gewesen, doch mit dem Eingriff der Behörden am Sonntag ergab sich auch das.
Die Fed kündigte eine Notfallkreditfazilität an, um das US-Bankensystem zu stützen
US-Regulierungsbehörden schreiten ein
Am Sonntag gaben die US-Aufsichtsbehörden bekannt, dass am Montag alle Einleger der SVB und der Signature Bank, einer weiteren Bank mit einem hohen Anteil an unversicherten Einlagen und erheblichem Engagement in Kryptowährungen, die für insolvent erklärt und von der FDIC übernommen wurde, auf ihr Geld zugreifen können[3].
Um das US-Bankensystem vor einer weiteren Ansteckung zu schützen, kündigte die Fed am Sonntag eine Notfallkreditfazilität an. Diese neue Fazilität, das Bank Term Funding Program (BTFP), wird Kreditgebern bis zu einem Jahr lang Darlehen gegen Sicherheiten wie US-Staatsanleihen, Schuldtitel von Agenturen, hypothekarisch gesicherte Wertpapiere und andere "qualifizierte Vermögenswerte" zur Verfügung stellen. Da diese Vermögenswerte zum Nennwert bewertet werden, sollen diese Kredite Banken unterstützen, die diese Wertpapiere sonst zum Marktpreis verkaufen (und Verluste realisieren) müssten, um den Abzug von Einlagen einzudämmen.
Ansteckungsgefahr vorerst reduziert
Gehen wir einen Schritt zurück: Jeder Zinserhöhungszyklus der Fed hat seine Opfer gefordert, vom Crash von '87[4] bis zur Tequila-Krise[5], Orange County[6] und so weiter. Diesmal war es für die Fed viel schwieriger, die Wirtschaft zu bremsen und damit die Inflation wieder in den Griff zu bekommen, weil die Märkte ruhig blieben. Daher gingen wir noch vergangene Woche davon aus, dass es vielleicht mehr Unruhe an den Märkten, also restriktivere finanzielle Bedingungen bräuchte, um die wirtschaftliche Dynamik zu dämpfen, damit die Inflation besiegt wird und sich die Märkte wieder beruhigen können. Dem schienen wir etwas näher gekommen zu sein, wenngleich die Märkte das teils wieder konterkariert haben, indem sie die Erwartungen für die Fed-Zinserhöhungen reduzierten. Doch vielleicht geht die SVB als prominentes Opfer des Zinserhöhungszyklus 2022 in die Geschichtsbücher ein.
Gerät eine Bank in Schieflage, bleiben die Auswirkungen nicht auf das unmittelbare Umfeld der Bank beschränkt, sondern können in vier Schritten auf den gesamten Sektor und die Wirtschaft übergreifen, wie wir glauben. Nachdem die direkte Auswirkung (1. Ordnung), nämlich der Konkurs der SVB und die Konkursverwaltung durch die FDIC, abgeschlossen ist, ist die Auswirkung zweiter Ordnung, das Verhalten der Kunden, die nicht versicherte Einlagen bei anderen Banken halten. Das Hauptaugenmerk dürfte wahrscheinlich auf den regionalen Banken in den USA liegen. Analysten wiederum werden wahrscheinlich insbesondere die Vergleichsgruppe der SVB unter die Lupe nehmen, um zu sehen, welche Institute auf der Aktivseite ihrer Bilanzen eine ähnliche Fristenstruktur aufweisen könnten. Der Effekt dritter Ordnung wäre ein Übergreifen auf anfällige Unternehmen mit schwachen Bilanzen, wie z.B. Hochzinsanleihen, Unternehmen im Start-up-Sektor oder solche, die mit Kryptoanlagen zu tun haben. Der Effekt 4. Ordnung - und der letzte - wären Massenliquidationen auf den Märkten und damit eine weit verbreitete Ansteckung, zum Beispiel wenn Anleger mangels Alternativen Unternehmensanleiheportfolios über Aktienderivate absichern müssten.
Mit der Signature Bank haben wir das erste Opfer der Effekte zweiter Ordnung gesehen. Unserer Meinung nach wird der wichtigste Faktor sein, wie die US-Behörden in den kommenden Tagen mit der Krise umgehen. Mit den am Sonntag angekündigten Maßnahmen haben sie die ersten Schritte unternommen, um das Vertrauen wiederherzustellen und das Abziehen größerer Einlagenbestände zu vermeiden.
Vergleiche mit der großen Finanzkrise von 2008 scheinen aus heutiger Sicht jedenfalls nicht angebracht: Die Gruppe der gefährdeten Unternehmen, die potenziell betroffen sein könnte, ist wahrscheinlich zu klein, verglichen mit der enormen Größe des US-Immobilienmarktes, der 2008 riesige Verluste im Finanzsektor verursacht hatte. Die Banken hingegen befinden sich in Bezug auf ihre Finanzierungsposition in einer wesentlich solideren Lage als vor der Finanzkrise.
Auswirkungen auf die Anlageklassen
Wir erwarten, dass die Märkte nach dem entschlossenen Handeln der US-Regulierungsbehörden am Wochenende eine Verschnaufpause einlegen werden. Unserer Ansicht nach ist jedoch weiterhin Vorsicht geboten, da Analysten und Ökonomen die Auswirkungen der gestiegenen Zinsen auf Banken, Unternehmen und die Wirtschaft als Ganzes genauer bewerten werden.
Anleihen und Währungen:
Wir haben unsere Einschätzung zu strukturierten US-Finanzprodukten auf "neutral" herabgestuft, da wir davon ausgehen, dass der Markt noch einige Zeit nervös sein wird und sich im Modus der Liquiditätserhaltung befindet. Die SVB hält keine großen Bestände an strukturierten Non-Agency-Finanzierungen, ist jedoch stark in Agency-CMBS und MBS engagiert.
Wir bleiben neutral gegenüber US- und Euro-Hochzinsanleihen, da sich die Risikoprämien deutlich ausgeweitet haben, während die Fundamentaldaten solide und die Ausfallraten niedrig bleiben.
Mit Blick auf die Märkte für Staatsanleihen ist die entscheidende Frage, ob die jüngsten Ereignisse bedeuten könnten, dass die Fed nun einen Gang zurückschaltet oder zumindest das Tempo der Zinserhöhungen nicht auf 50 Basispunkte erhöht. Nachdem sowohl die Märkte als auch viele Kommentatoren die US-Notenbank zunehmend dazu gedrängt hatten, den Zinserhöhungszyklus wieder zu beschleunigen, wurden die Erwartungen für den weiteren Verlauf der Fed-Leitzinsen über die vergangenen paar Tage wieder zurückgeschraubt. Man kann davon ausgehen, dass die Zentralbank etwas vorsichtiger vorgehen wird, vorausgesetzt, dass morgen kein verheerender US-Inflationsbericht für Februar veröffentlicht wird. Alles in allem würden wir angesichts der vorherrschenden Inflationsrisiken nicht mit einer abrupten Kehrtwende der US-Notenbank rechnen. In Europa tagt am Donnerstag der Rat der Europäischen Zentralbank. Auch hier ist nicht mit einem massiven Richtungswechsel zu rechnen.
Da wir davon ausgehen, dass die Fed im Vergleich zu den jüngsten Erwartungen etwas vorsichtiger sein wird, könnte der Dollar gegenüber dem Euro etwas schwächer werden, aber es sind keine großen Bewegungen zu erwarten.
Aktien:
Wir bleiben zunächst bei unserer grundlegend positiven Einschätzung des europäischen Bankensektors, werden aber genau beobachten müssen, inwieweit sich das Kundenverhalten auch hier im Zuge der SVB-Pleite ändern wird. Während die britische Regierung derzeit an Maßnahmen zur Unterstützung britischer Technologiekonzerne arbeitet, die von der separaten britischen Bankeinheit der SVB-Gruppe betroffen sind[7], gehen wir davon aus, dass die Ansteckungseffekte auf europäische Banken begrenzt sein werden, da nur acht Prozent der SVB-Einlagen außerhalb der USA liegen.
In den USA bietet die immer noch hohe Rendite der 3- bis 24-monatigen Treasuries nicht nur Alternativen zu Aktien, sondern auch zu Bankeinlagen, da die meisten noch niedrigere Renditen aufweisen und wahrscheinlich nicht so schnell auf ein ähnliches Niveau angehoben werden dürften. Der Wettbewerb zwischen den Banken um die Einlagen der Sparer wird sich daher unserer Ansicht nach verschärfen. In diesem Kampf sehen wir kleinere Banken als benachteiligt an. Sie bieten weniger Dienstleistungen an, und die gewerblichen Kunden könnten versucht sein, ihr Geld nun woanders anzulegen. Darüber hinaus sind kleinere US-Banken im Durchschnitt stärker in den schwierigeren Bereichen der Wirtschaft engagiert, wie z.B. bei Gewerbeimmobilien, und haben aufgrund ihrer regionalen Ausrichtung auch ein höheres Engagement im Bürosektor.
Alternative Anlagen:
Kleine Banken sind wichtige Akteure bei der Finanzierung und Entwicklung von Immobilien. Sollten die jüngsten Ereignisse zu einem Rückgang der Kreditvergabe in diesem Bereich führen, könnte dies zu einem geringeren Angebot und damit zu höheren Immobilienbewertungen führen. Andererseits könnte die Schließung von Start-ups zu einem größeren Angebot an Gewerbeimmobilien führen. Eine geringere Kreditvergabe der Banken könnte auch Möglichkeiten für Private Credit bieten.