22. Sep. 2023 Inflation

Inflationserwartungen außer Kontrolle?

An den Anleihemärkten übertreffen die Inflationserwartungen für Deutschland mittlerweile die für die USA. Muss sich die EZB deshalb Sorgen machen? Wir denken nicht.

An den Anleihemärkten übertreffen die Inflationserwartungen für Deutschland mittlerweile die für die USA.

Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 20.09.2023

So weit würden wir nicht gehen. „Die EZB hat viele gute Gründe, sich gegen die Inflation zu wehren. Je nach den eingehenden Daten wird sie aus unserer Sicht die Zinsen wahrscheinlich noch eine ganze Weile hoch lassen. Aber die vom Markt abgeleiteten Inflationserwartungen sind nur eine von vielen Messgrößen, die sie in den kommenden Monaten genau beobachten wird und wahrscheinlich nicht mal eine der wichtigsten aus ihrer Sicht“, erklärt Ulrike Kastens, Senior Economist Europe bei der DWS.

Zum einen sind die Inflationserwartungen des Marktes selbst recht volatil.[1] Zum anderen sind rationale Inflationserwartungen nützliche theoretische Konstrukte, um nachvollziehbare Modelle für die Funktionsweise von Volkswirtschaften zu entwickeln. Aber sie zu postulieren ist kein Ersatz dafür zu untersuchen, wie Löhne und Preise im wirklichen Leben festgelegt werden oder wie Erwartungen in einem bestimmten Land in der realen Welt entstehen. Die Struktur indexierter Anleihen, ganz zu schweigen von der Marktliquidität, unterscheidet sich nicht nur zwischen den USA und Deutschland, sondern auch innerhalb der Eurozone. Auch in den verschiedenen Ländern des gemeinsamen Währungsraums herrscht eine recht unterschiedliche Dynamik. Transatlantische Vergleiche kleiner Unterschiede im Zeitverlauf mit nur einem, zugegebenermaßen wichtigen, Land, sind für europäische Geldpolitik ziemlich bedeutungslos. Und schließlich ist es ganz allgemein überraschend schwer, Inflation „richtig“ zu messen. Übrigens ist die Tatsache, dass Inflationserwartungen für aktuelle Theorien konzeptionell von entscheidender Bedeutung sind, es aber schwierig, sie zu messen, ein wenig flüssige Intelligenz in der kognitiven Psychologie. [2] Wir hoffen, dass die erfahrenen Ökonomen der EZB das wissen und erkennen, dass die Finanzmärkte nicht immer ganz so rational und gut informiert sind, wie manche Wirtschaftskommentatoren mitunter zu glauben scheinen.

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1. Das ist weder überraschend noch ungewöhnlich für die Finanzmärkte, insbesondere angesichts schwer abschätzbarer oder ungewöhnlicher Entwicklungen. Siehe z.B. Akerlof and Shiller, ebenda, S. 131-148. Oder Surowiecki, J. (2005) “The Wisdom of Crowds: Why the Many are Smarter than the Few and How Collective Wisdom Shapes Business, Economics, Society and Nations”, Abacus, S. 40-65

2. Siehe Stanovich, K. (2010) „What Intelligence Tests Miss: The Psychology of Rational Thought“, Yale University Press, insb. S. 45 – 69.

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