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- Warum nicht wieder mal gegen die Fed kämpfen?
Eines der faszinierenden Merkmale des menschlichen Verstands ist die Tendenz, „bedeutungsvolle Muster sowohl in bedeutungsvollen [Daten] als auch in bedeutungslosem Rauschen zu finden.“[1] Unser „Chart of Week“, zum Beispiel, enthält sowohl einige der bedeutungsvollsten als auch bedeutungslosesten Informationen darüber, wie sich 2023 wahrscheinlich entwickeln wird. Die zackige Linie zeigt die Markterwartungen über die Leitzinsentwicklung bis zum jeweiligen Jahresende[2]. Die glatte Stufe im Chart basieren auf den Einschätzungen der US-Notenbank (Fed) selbst, gemäß dem Median der sogenannten Fed Dot-Plots[3].
Interessanterweise scheinen die Futures-Märkte bei der Frage, wo die Geldpolitik im vergangenen Jahr enden würde, über einen Großteil des Jahres 2022 bessere Arbeit geleistet zu haben als die Fed selbst. Was man davon halten soll, ist ziemlich schwierig zu sagen, nicht zuletzt, da FOMC-Mitglieder ihre Dots nur etwa alle drei Monate aktualisieren können, während sich die Markterwartungen täglich ändern. Ein zusätzliches Element der Unbestimmtheit: Während die Märkte die Fed beobachten, beobachten die Fed-Amtsträger natürlich auch die Fed-Funds-Futures. Die Veröffentlichung der Dot Plots hat solche Rückkopplungsschleifen seit 2012 wohl verstärkt, was möglicherweise beide zu weniger zuverlässiger Prognoseinstrumenten gemacht hat.
Viele Marktteilnehmer scheinen sich jedoch für eine viel einfachere Erklärung entschieden zu haben zunehmend selbstbewusst zu glauben, dass sie die Zinsentwicklung auch 2023 besser einschätzen können als die Fed. Die Futures-Märkte preisen derzeit nur 4,42 Prozent für den Dezember-2023-Kontrakt ein. Im Gegensatz dazu betonen Fed-Amtsträger bei jeder Gelegenheit, dass sie die Federal Funds Rate im Jahresverlauf bei über 5 Prozent sehen.
Im Vergleich zu Fed-Amtsträgern erwiesen sich die Marktteilnehmer bei der Vorhersage der US-Zinssätze für das Jahr 2022 als ungewöhnlich vorausschauend
* für Dezember 2022
Quellen: RBloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 16.01.2023
Unsere eigenen Einschätzungen sind näher an denen der Fed. Wie Christian Scherrmann, US-Ökonom bei der DWS, betont, könnte ein starker Arbeitsmarkt die Fed sogar dazu veranlassen, die Zinsen länger hoch zu halten. Darüber hinaus war es 2022 eher ungewöhnlich, dass die Marktteilnehmer mit ihren Erwartungen so vergleichsweise zielgenau war. Wie unzählige empirische Studien im Laufe der Jahre gezeigt haben, sind Terminmärkte im Allgemeinen nicht sonderlich gut darin, Fed-Entscheidungen vorherzusagen, insbesondere solche, die fast ein Jahr entfernt sind, statt nur wenige Wochen oder Monate. „Außerdem neigen Fehler dazu, relativ groß zu sein, wenn die Leitzinsen ihre Richtung ändern oder wenn sie sich über einen kurzen Zeitraum schnell ändern“, wie es eine frühe Studie, übrigens von einem Fed-Ökonomen, ausdrückte[4].
„Kämpfe nicht gegen die Fed“, heißt ja auch ein traditionelles Mantra an der Wall Street. Wie andere mentale Faustregeln – was wir in anderen Lebensbereichen als Aberglauben bezeichnen würden – war diese Marktweisheit historisch oft genug richtig, um allgemein akzeptiert zu werden. Schließlich spiegeln plötzliche geldpolitische Änderungen in der Regel neue Informationen wider, die die Märkte im Allgemeinen mindestens genauso überraschen wie die geldpolitischen Entscheidungsträger.
Gelegentlich erweisen sich solche Anlegerweisheiten jedoch als falsch. Dann wird Vorsicht besonders wichtig. Denn es liegt in der menschlichen Natur, das eigene Urteilsvermögen zu über- und den Zufall zu unterschätzen. Besonders gerade dann, wenn man kürzlich das Glück hatte, mit der eigenen Einschätzung richtig zu liegen. Zumindest aus Sicht der Behavioral Finance dürfte das derzeitige Selbstbewusstsein vieler Marktteilnehmer in erster Linie einen solchen Recency-Bias widerspiegeln. Allein schon aus diesem Grund könnt sich die aktuelle kollektive Marktweisheit als wenig fundiert erweisen.