21. Mai 2024 CIO Special

US-Geldmarktfonds – ein “sicherer“ Hafen?

Amerikanische Geldmarktfonds haben seit Ende des Jahres 2022 einen massiven Zufluss erfahren. Mit knapp über 6 Billionen Dollar stehen sie momentan auf einem absoluten Hoch.

Björn Jesch

Björn Jesch

Global Chief Investment Officer
  • US-Geldmarktfonds haben jüngst starke Zuflüsse erfahren, die Volumina rangieren auf einem Rekordhoch.
  • Neben der Suche nach kurzfristiger Sicherheit ist es auch die vergleichsweise attraktive Verzinsung, die Investoren anlockt.
  • Kurzfristig erwarten wir keine massiven Abflüsse, doch die Möglichkeit schneller Umschichtungen sollte beobachtet werden.

Massiver Kapitalzufluss in den vergangenen Jahren

Amerikanische Geldmarktfonds haben seit Ende des Jahres 2022 einen massiven Zufluss erfahren. Mit knapp über 6 Billionen Dollar stehen sie momentan auf einem absoluten Hoch[1] – und es macht unserer Einschätzung nach auch nicht den Anschein, dass kurzfristig massive Abflüsse zu erwarten wären. Dennoch stellt sich die Frage, was das enorme Interesse an dieser sehr kurzfristigen Anlagemöglichkeit ausgelöst hat, und was passieren müsste, damit das Kapital auch wieder in großem Stil abgezogen wird. Denn aufgrund der Kurzfristigkeit dieser Anlagen, können (zu) schnelle Abflüsse (und somit Umschichtungen in anderen Assetklassen) durchaus für Schwankungen auf den Finanzmärkten sorgen.

Aufgrund der deutlich geringeren Relevanz, die Geldmarktfonds in Europa und der Eurozone haben, betrachten wir in dieser Publikation lediglich die entsprechenden Instrumente aus den USA. Auch hierzulande haben Geldmarktfonds jüngst Zuflüsse erfahren, die Volumina erscheinen jedoch vergleichsweise vernachlässigbar. Diese Entwicklung hat unterschiedliche Gründe. Vor allem ist unserer Einschätzung nach wohl aber die Tatsache zu nennen, dass der Sicherheitsaspekt der Fonds in Europa aus Sicht der Investoren deutlich weniger im Vordergrund steht als in den USA.


1 / Volumen der US-Geldmarktfunds auf Rekordhoch

1.1   Geldmarktfonds als kurzfristige Parkmöglichkeit für Kapital

Geldmarktfonds sind nach allgemeiner Definition Investmentfonds, die ihr Fondsvermögen in liquide Geldmarktpapiere investieren. Die kurze Fristigkeit ist hierbei neben einer angenommenen hohen Sicherheit der wichtigste Aspekt. Zu Geldmarktpapieren zählen beispielsweise Einlagenzertifikate, Termingelder, Schuldscheindarlehen von Banken oder Unternehmen sowie Anleihen, aber auch Anteile an anderen Geldmarktfonds. Normalerweise haben diese Wertpapiere eine Restlaufzeit von zwölf Monaten oder weniger.

Geldmarktfonds werden von unterschiedlichsten Investorengruppen in der Regel dazu genutzt, Geld zu parken, bevor es in andere, meist längerfristige Anlagen umgeschichtet wird. Banken, Staaten und Unternehmen gehörten lange Zeit zu den Hauptinvestoren in Geldmarktfonds, ihr Anteil beträgt aktuell rund 60 Prozent. In den vergangenen Jahren war allerdings mehr und mehr zu erkennen, dass auch Privatanleger dieses Vehikel deutlich intensiver nutzen. Das von ihnen gehaltene Volumen ist in den vergangenen 24 Monaten um rund 75 Prozent in die Höhe geschossen. Da eines der Hauptmerkmale von Investments in Geldmarktfonds der kurzfristige Anlagehorizont ist, müssen die in dem Fonds gehaltenen Wertpapiere sehr liquide sein, um auch schnelle Umschichtungen zu ermöglichen.

Grundsätzlich unterscheiden sich Geldmarktfonds in ihrer Funktionsweise nicht von anderen Investmentfonds – und das ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass auch Privatinvestoren diese Möglichkeit vermehrt nutzen, ihr Kapital zu parken. Ist die Volatilität an den Finanzmärkten hoch, erfreuen sich Geldmarktfonds in der Regel eines wachsenden Zuspruchs, um auf wieder solidere Marktphasen zu warten. Fonds, die ausschließlich in US-Staatspapiere oder staatsnahe Titel investieren, stellen die mit Abstand größte Gruppe dar – was natürlich wiederum mit der vermeintlichen Sicherheit dieser Papiere zu tun hat.


1.2 Marktstress als ein potentieller Auslöser für Zuflüsse in Geldmarktfonds

Schauen wir auf die Zuflüsse in US-Geldmarktfonds in den vergangenen eineinhalb Dekaden, so ist gut zu erkennen, dass Phasen hoher Nervosität am Finanzmarkt oft zu einem merklichen Anstieg der Volumina geführt haben. Dabei scheint es unerheblich, ob diese Nervosität eher finanzmarktinduziert war, oder ob beispielsweise geopolitische Spannungen die Investoren verunsichert haben. Stress im System kann für die USA abgelesen werden an der Entwicklung des „Financial Stress Index“ der Federal Reserve St. Louis. Wie aus der Definition der Notenbank ersichtlich ist, misst der Index den „Grad der finanziellen Anspannung auf den Märkten und wird aus 18 wöchentlichen Datenreihen gebildet: sieben Zinsreihen, sechs Renditespannen und fünf weitere Indikatoren. Jede dieser Variablen erfasst einen Aspekt der finanziellen Anspannung. Dementsprechend ist es wahrscheinlich, dass sich die Datenreihen gemeinsam bewegen, wenn sich der Grad der finanziellen Anspannung in der Wirtschaft ändert.“[2]

Phasenweise höhere Zuflüsse in Geldmarktfonds in Zeiten der Unsicherheit am Kapitalmarkt

Quellen: Bloomberg Finance L.P., Federal Reserve St. Louis, DWS Investment GmbH; Stand: 10.05.2024


Besonders eindrucksvoll war die Entwicklung zum Jahresbeginn 2020. Der weltweite Ausbruch von Corona hatte nicht nur Schockwellen durch den Finanzmarkt getrieben, sondern auch etliche Anleger dazu veranlasst, Kapital in die vermeintliche Sicherheit der Geldmarktfonds zu allokieren. Ebenfalls auffällig war der Anstieg der wöchentlichen Zuflüsse in diese Fonds zu Beginn des Jahres 2023, als Sorgen um die Stabilität der US-Regionalbanken die Volatilität kräftig nach oben trieben. In dieser Phase war es aber nicht nur die generelle Flucht in einen sicheren Hafen; es wurden auch hohe Beträge, die als Einlagen bei den von der Krise betroffenen sowie auch anderen kleineren Regionalbanken gehalten wurden, umgeschichtet, da Anleger Angst um die Sicherheit dieser Beträge hatten. Das Kapital bewegte sich allerdings nicht nur in Richtung der Geldmarktfonds, auch Einlagen größerer, und damit vermeintlich sicherer US-Banken erfreuten sich eines hohen Zuspruchs.


1.3 Geldmarktfonds als attraktiv verzinster “Sicherer Hafen“

Die vermeintliche relative Attraktivität von Anlagen in Geldmarktfonds im Vergleich zu den vorhandenen Alternativen ist ebenfalls ein wichtiger Einflussfaktor auf die Zuflüsse in diese Anlageklasse – aber eben auch nur einer von vielen. Und diese Attraktivität variiert über bestimmte Marktphasen erheblich, natürlich auch in starker Abhängigkeit von der jeweiligen Ausrichtung der Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Federal Reserve.

In den vergangenen Jahren haben die Zentralbanken weltweit dafür gesorgt, dass die Renditeniveaus am Boden lagen – es gab ein Kapitalmarktumfeld, dass in mehrfacher Hinsicht als außergewöhnlich zu bezeichnen war. Denn durch die Nullzinspolitik von Fed, EZB und Co. wurden auch die Renditen an den internationalen Bondmärkten massiv beeinflusst und in Regionen getrieben, die noch nie zuvor gesehen worden waren, in manchen Teilmärkten und Segmenten sogar in den negativen Bereich.

Im März 2022 begann die Federal Reserve, die Leitzinsen massiv anzuheben, um der aus dem Ruder gelaufenen Inflation Einhalt zu gebieten. Rund zwei Monate später sackte die amerikanische Renditestrukturkurve in den inversen Bereich – d.h. kürzere Laufzeiten rentierten höher als ihre länger laufenden Pendants. Die Inversion der Treasury-Kurve hat bis heute Bestand. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung war es folglich über lange Zeit attraktiver, in kürzeren Laufzeiten zu investieren, da hier höhere Renditen zu vereinnahmen waren. Von daher ist das Volumen der Geldmarktfonds bereits vor Ausbruch der Regionalbankenkrise in den USA im März 2023 angestiegen – und zwar im Gleichklang mit den Geldmarktrenditen, auch wenn dieser Anstieg noch als durchaus moderat bezeichnet werden konnte. Vom Beginn des Zinserhöhungszyklus im März 2022 bis kurz vor Beginn der Spannungen im Bankensektor stiegen die Geldmarktfonds-Aktiva um rund 330 Mrd. USD, d.h. um rund 28 Mrd. USD pro Monat. Damit scheint unseres Erachtens das typische Anlegerverhalten während eines Straffungszyklus der Fed gut abgebildet.

Geldmarktfonds reagieren erst mit Zeitverzögerung auf Zinssenkungen der Federal Reserve

Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 10.05.2024


Untersuchungen der Federal Reserve New York haben ergeben, dass in der Vergangenheit ein Anstieg des effektiven Leitzinses um einen Prozentpunkt aufgrund der engen Korrelation mit den Renditen von Geldmarktfonds die Fondsvermögen über einen Zeitraum von zwei Jahren um 6 Prozentpunkte ansteigen ließ.[3] Diese Beziehung zeigt recht deutlich, dass Geldmittelströme im Allgemeinen recht langsam auf Veränderungen der Renditen reagieren. Unserer Meinung nach sollte aber zusätzlich beachtet werden, dass das untersuchte Verhältnis in Zeiten von Stress im Finanzsystem oftmals keine Geltung findet. Ein passendes Beispiel dafür ist der bereits weiter oben erwähnte Ausbruch von Corona im Jahr 2020. Damals ging ein massiver Anstieg der Zuströme in Geldmarktfonds sogar mit kräftig fallenden Leitzinsen einher.

Ein weiterer Faktor in diesem Zusammenhang ist der mal stärker und mal weniger stark ausgeprägte Wettbewerb zwischen Geldmarktfonds einerseits und den Einlagen der Investoren bei Banken auf der anderen Seite. Bis zum Ausbruch von Covid-19 haben Bankeinlagen eine eher langweilige Eigendynamik gezeigt, mit Steigerungsraten, die weit über ein Jahrzehnt vergleichsweise konstant waren. Erst durch das extreme Absenken der Leitzinsen vor dem Hintergrund der Pandemie ist nicht nur das Interesse an Geldmarktfonds, sondern auch an Bankeinlagen merklich gewachsen, wobei es dann durch die Nullzinspolitik den Einlagen leichtfiel, höhere Attraktivität zu zeigen. Diese hielt fast genau bis zu den aufkommenden Problemen der US-Regionalbanken an. Diese Krise, die zumindest für einen kurzen Moment auch als Gefahr für das gesamte Bankensystem gesehen wurde, war so etwas wie eine weitere Initialzündung für Geldmarktfonds. Ihr Volumen wurde kräftig nach oben katapultiert und stieg ohne größere Rücksetzer auf die Niveaus, auf denen wir uns auch heute noch befinden.

Nur zeitweise besteht ein Wettkampf zwischen Geldmarktfonds und Bankeinlagen

Quellen: Bloomberg Finance L.P., DWS Investment GmbH; Stand: 10.05.2024


Zusammenfassend können wir konstatieren, dass relative Attraktivität durchaus ein Einflussfaktor für steigende Zuflüsse in Geldmarktfonds sein kann – nur gilt diese Konstellation allenfalls phasenweise. Es kommt sehr stark auf die jeweilige Marktkonstellation an, welcher Einflussfaktor die Zuflüsse in Geldmarktfonds dominiert. Eine große Rolle spielt dabei auch das jeweilige Marktsentiment, das teilweise komplett unterschiedliche Interpretationen durchaus ähnlicher Marktphasen mit sich bringt.


2 / Vorerst keine massiven Abflüsse zu erwarten

2.1 Mit nachhaltigen Abflüssen ist kurzfristig wohl erst einmal nicht zu rechnen …

Zu Beginn dieses Jahres wurde von etlichen Marktteilnehmern davon ausgegangen, dass die US-Notenbank Fed vergleichsweise früh einen Zinssenkungszyklus starten wird, der den amerikanischen Leitzins in bis zu sieben Schritten massiv nach unten bringen wird. Diese Erwartungshaltung ist mittlerweile kräftig revidiert worden; aktuell ist der erste vollständige Zinsschritt nicht mehr vor November eingepreist, insgesamt dürfte die Fed nach den aktuell eingepreisten Sätzen in diesem Jahr weniger als zweimal an der Zinsschraube drehen. Diese geänderte Marktsituation sollte, so sie denn eintritt, auch einen merklichen Einfluss auf die Beantwortung der Frage haben, wie schnell das Rekordvolumen in Geldmarktfonds wieder abgebaut werden könnte. Wir gehen kurzfristig erst einmal nicht davon aus, dass sich am aktuellen Bild schnell etwas ändert.

Betrachten wir die vergangenen fünf Zinssenkungszyklen der Fed, so stiegen die Zuflüsse in Geldmarktfonds in Erwartung der ersten Zinssenkung, um sich dann deutlich zu verlangsamen, sobald die Fed mit den Zinssenkungen begann. Die Abflüsse allerdings begannen historisch in der Regel erst zwölf Monate nach dem Beginn eines Zinssenkungszyklus. Gehen wir nun davon aus, dass die erste Zinssenkung der Fed immer weiter nach hinten geschoben wird, und zudem die Anzahl der Senkungen ebenfalls geringer ausfallen dürfte, als noch vor gar nicht so langer Zeit erwartet, bestehen unserer Einschätzung nach vor allem vor dem Hintergrund der relativen Attraktivität noch immer gute Gründe, Kapital in Geldmarktfonds zu halten. Zudem befinden wir uns in einem Wahljahr, das zusätzlich zahlreiche geopolitische Spannungsfelder aufweist, die wahrscheinlich allesamt nicht so schnell zu lösen sein dürften. Die Nervosität der Anleger dürfte folglich hoch bleiben. Zudem gibt es Fragezeichen, ob angesichts der hohen Bewertung insbesondere der US-Aktien nicht vielleicht bald mit einer Korrektur gerechnet werden muss.


2.2 … dennoch sollte die Entwicklung genau beobachtet werden

Da ein Großteil des in Geldmarktfonds angelegten Geldes als "schnelles" Geld bezeichnet werden kann, das ebenso schnell wieder abgezogen werden kann, wie es zugeflossen ist, besteht unseres Erachtens ein gewisses Risiko, wenn plötzlich zu viel Kapital aus diesen Fonds abgezogen wird. Dies könnte bedeuten, dass Geldmarktfonds einen Teil ihrer Bestände sehr schnell liquidieren müssten, um den hohen Liquiditätsbedarf zu decken. Darüber hinaus könnten sehr kurzfristige, aber vielleicht auch sehr gezielte Mittelumschichtungen zu einer unerwünschten Volatilität in den Marktsegmenten führen, in die sie fließen. Es ist daher ratsam, die Rekordvolumina in US-Geldmarktfonds genau zu beobachten und sich des Risikos künftiger Volatilität bewusst zu sein.

Mehr lesen

1. Sämtliche Daten, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus Bloomberg Finance L.P.; Stand: 10.05.2024

2. St. Louis Fed Financial Stress Index St. Louis Fed; Stand: 10.05.2024

3. Monetary Policy Transmission and the Size of the Money Market Fund Industry New York Fed; Stand: 03.04.2023

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