Europas Aktienmärkte stehen seit der Schuldenkrise 2008 im Schatten des alles dominierenden US-Marktes. Zu Recht, mögen viele sagen, haben Europas Aktien (Stoxx 600) in den vergangenen 15 Jahren doch gerade mal um 35 Prozent zugelegt[1], während sich der S&P 500 in Euro gerechnet mehr als verdreifacht hat. Dies mündete am Schluss in einem rekordhohen Bewertungsabschlag[2] in Höhe von über 30 Prozent für Europas Titel. Doch seit Mitte 202224 macht der Alte Kontinent wieder den Boden gut. Was weniger damit zu tun haben dürfte, dass die Wirtschaft hier so prächtig läuft, sondern dass die Anleger Europas Risiken und Amerikas Wirtschaft überschätzt haben.
Europa: Nebenwerte vs. Standardwerte
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Quelle: DWS Investment GmbH, FactSet Research Systems Inc.; Stand: 28.02.2023
Der Auslöser für Europas Aufholjagd dürfte der ausgebliebene Energieengpass im Winter, sowie die insgesamt höher als erwartete Resilienz der Unternehmen gewesen sein. Es bleiben weiter Gründe bestehen, warum die Aufholjagd andauern könnte. Makroökonomische Gründe (der fiskalische Impuls wird dieses Jahr in Europa positiv, in den USA aber negativ sein), doch vor allem aktienmarktspezifische Gründe:
- Der Bewertungsabschlag bleibt mit 26 Prozent weit über seinem 20-Jahresdurchschnitt von 14 Prozent.
- Wir erwarten einen größeren Revisionsbedarf bei den US- als bei den europäischen Gewinnschätzungen.
- Die Sektorzusammensetzung des Stoxx 600 erscheint uns aktuell attraktiver. Der Anteil an Substanzwerten (dazu zählen auch Finanzwerte), die wir in diesem Umfeld weiter favorisieren, ist deutlich höher als in den USA.
Zudem dürften die hiesigen zyklischen Sektoren relativ mehr von Chinas Öffnung profitieren (Industrie, Minen, Luxus) als die amerikanischen. Auch sehen wir bei den rekordhohen Margen in den USA mehr Abwärtsrisiko als in Europa. Nicht zuletzt müssen sich US-Werte in einem Umfeld deutlich höherer Realzinsen behaupten[3]. Die Schätzungen für die Zinsschritte der US-Zentralbank wurden ab Anfang Februar wieder nach oben revidiert, worunter vor allem die Technologie-Wachstumswerte bewertungstechnisch leiden.
Innerhalb Europas mögen wir insbesondere Nebenwerte. Sie weisen im langjährigen Vergleich höhere Wachstumsraten, höhere Gewinnmargen und eine höhere Preissetzungsmacht auf, was sich im aktuellen inflationären Umfeld besonders auszahlt. Außerdem weisen Nebenwerte einen höheren Anteil zyklischer Werte mit hohem operativem Hebel auf. Da das Stimmungstief in Europa laut Einkaufsmanagerindizes überwunden sein sollte und wir mit einer leichten Konjunkturbelebung rechnen, spricht das zusätzlich für diesen Sektor. Nicht zuletzt haben Nebenwerte auch bewertungstechnisch wieder etwas aufzuholen. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) befindet sich relativ zu den Standardwerten deutlich unter dem 15-Jahresschnitt. Folge des Bruchs in der langjährigen Outperformance: von Mitte 2021 bis Mitte 2022 verloren Europas Nebenwerte mehr als doppelt so viel wie die Standardwerte. Wir gehen jedoch davon aus, dass, zumindest von der Tendenz, der alte Pfad fortgesetzt wird: über 20 Jahre haben Nebenwerte viermal so stark zugelegt wie Standardwerte.